Tagung

Modelle deutscher Sozialpolitik und nationalsozialistische Besatzungsherrschaft

27. Oktober | 09:30

Die Bedeutung der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik für das NS-Regime wird von der Forschung seit langem hervorgehoben; die personellen und institutionellen Strukturen dieser Politik sind jedoch bisher noch kaum systematisch untersucht. Das Forschungsprojekt zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der NS-Zeit will die „Frage nach den Kontinuitäten zur Zeit vor 1933 wie auch nach 1945 … beantworten und die NS-Arbeits- und Sozialpolitik in einen größeren, internationalen Vergleich … stellen, um ihre Spezifika herausarbeiten zu können“. Im Rahmen des Workshops werden erste Ergebnisse zu den  Akteuren und Handlungsfeldern der NS- Arbeits- und Sozialpolitik präsentiert und diskutiert. Gefragt wird nach Wissen und Wahrnehmung der Experten, auf deutscher Seite insbesondere der Beamten des RAM und der Treuhänderverwaltung, und nach der Rolle, die diese Akteure für das Arbeitsrecht und die Sozialpolitik, auch in den besetzten Ländern spielten. Dabei wird eine Perspektive auf die deutsche Sozialpolitik gewählt, die zum einen die NS- Arbeits- und Sozialpolitik in den Kontext inter- und transnationaler Debatten der 30er Jahre um Aufbau und Reform des Wohlfahrtsstaates und der industriellen Beziehungen stellt, zum anderen die konkrete Interaktion mit den Akteuren in den besetzten Ländern berücksichtigt.

 

  • Das NS-Regime bemühte sich intensiv, seine Arbeits- und Sozialpolitik als Modell zu propagieren und als Ausdruck eines „sozialen Deutschlands“ darzustellen, dessen „soziale Arbeitsgesetzgebung“ die Klassenunterschiede überwunden habe. Kiran Patel hat anhand dieses Zitats aus Hitlers Bürgerbräukeller-Rede gezeigt, wie wichtig die Konkurrenz zur Sozialpolitik der europäischen Demokratien für die Analyse der Sozialpolitik des III. Reichs ist. Wie wurden das NS-Arbeitsrecht, die Festsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durch Treuhänder, die Umgestaltung der Betriebsverfassung, der Umbau der Sozialversicherungssysteme nach außen dargestellt und von außen wahrgenommen? Welche Bedeutung besaßen die vor 1933 entstandenen Modelle deutscher Sozialpolitik, die Bismarckschen Sozialversicherungen, die Betriebsräte, das Tarifwesen und die Zwangsschlichtung der Weimarer Republik für die Perzeption des „sozialen Deutschlands“?
  • Ziel der Besatzungsherrschaft war die maximale Ausbeutung der Wirtschaft des besetzten Landes und seines Arbeitskräftepotentials zum Nutzen der deutschen Kriegswirtschaft. Obwohl dieses Ziel die Politik der Militärverwaltung in Belgien absolut dominierte, (Arbeitseinsatz und Zwangsarbeit sind Gegenstand eines eigenen Teilprojekts), setzte sie anfangs erfolgreich das Versprechen einer neuen sozialen Ordnung ein, um ihre Herrschaft zu sichern. Regierungen und Verwaltungen, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, die mit den Besatzern kollaborierten, versuchten, diese neue soziale Ordnung zu verwirklichen. Bekannt ist, dass die radikale Umgestaltung der Arbeitsvermittlung in den besetzten Ländern als Modernisierung und Rationalisierung der Arbeitslosenhilfe deklariert wurde. Zu untersuchen ist aber auch, welchen Druck die Militärverwaltung ausübte, um das Sozialversicherungssystem „effizienter“ zu gestalten, eine Kontrolle der Arbeits- und Lohnbedingungen durch Übertragung des Treuhänder-Modells aufzubauen und die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Sinne der NS-Gemeinschaftsideologie umzugestalten. Zu fragen ist, wieweit die Akteure vor Ort die deutschen Konzepte aufnahmen, anpassten oder verwarfen und eigene Projekte im Schatten der Besatzungsherrschaft verfolgten. Auch diese Interaktion setzte die  Debatten der Vorkriegszeit fort. Welche Bedeutung besaß sie für die Sozialpolitik und das Arbeitsrecht 1944?

Kontakt

Sabine Rudischhauser
sabine.rudischhauser  ( at )  cmb.hu-berlin.de

Programm

9.30 h  Begrüßung und Einführung (Sabine Rudischhauser)

9. 45 h Hervé Joly, ENS Lyon

Les politiques sociales françaises et allemandes vue de l'autre côté du Rhin (années 1930-1940). Essai d'une sociologie des "experts"

10. 15 h Diskussion

10.45 h Ulrike Schulz, HU Berlin

Akteure und Struktur der Arbeits- und Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg. Rolle  und Bedeutung des Reichsarbeitsministeriums

11.15 h Diskussion

Moderation: Klaus-Peter Sick

 

12 h Mittagspause

 

13.15 h Sören Eden, HU Berlin

Überwachung und "Unterwachung". Die Treuhänder der Arbeit und die Sanktionierung von Arbeitsvertragsbrüchen.

13.45 h Diskussion

14.15 h Kenneth Bertrams/ Sabine Rudischhauser, Université libre de Bruxelles

« Die Initiative der Militärverwaltung betreffend die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht wird in Belgien als ein beachtlicher sozialer Fortschritt gewertet werden. » Sozialpolitik zwischen Propaganda und Kriegswirtschaft im besetzten Belgien.

14.45 h Diskussion

15.30 h Ende der Veranstaltung

Ort

Georg-Simmel-Saal
Friedrichstraße 191

10117
Berlin
Deutschland