Leben am Centre

Porträt von Guillaume Mouralis, Co-Leiter des Schwerpunkts „Staat, Recht und politischer Konflikt“

18. Oktober 

Der CNRS-Forscher Guillaume Mouralis arbeitet seit 2017 am Centre Marc Bloch. Gemeinsam mit Andrea Kretschmann leitet er den Schwerpunkt „Staat, Recht und politischer Konflikt“. In seiner Forschung, die von den Prozessen kommunistischer Beamter über die Nürnberger Prozesse bis hin zu zivilgesellschaftlichen Tribunalen reicht, verknüpft er Soziologie und Historiografie, um nationale und internationale Praktiken des Rechts auszuleuchten.

Etwas nostalgisch ruft sich Guillaume Mouralis seinen ersten Aufenthalt am Centre Marc Bloch in Erinnerung, als unter den Fenstern seines Arbeitsplatzes am Schiffbauerdamm noch die Boote vorbeizogen: „Ich habe drei Jahre hier verbracht – von 2000 bis 2003 –, um meine Promotion über die Prozesse gegen ex-DDR-Staatsangestellte nach der Wiedervereinigung vorzubereiten. Ich bin der Frage nachgegangen, warum in Deutschland so viele DDR-Beamte und -Funktionsträger strafrechtlich verfolgt wurden, während sie in den anderen ehemals kommunistischen Ländern kaum juristisch behelligt wurden. Um das zu verstehen, was ich als ‚épuration judiciaire‘, also ‚justizielle Säuberung‘, bezeichnet habe, habe ich eine detaillierte Untersuchung über die Entstehungsgeschichte dieser Prozesse durchgeführt und festgestellt, dass der juristische Kalte Krieg zwischen BRD und DDR, aber auch die westdeutsche Erfahrung der NS-Prozesse eine entscheidende Rolle in der Gestaltung der DDR-Prozesse nach 1990 gespielt haben.“ Seine Doktorarbeit erschien 2008 unter dem Titel Une épuration allemande. La RDA en procès. 1949-2004 bei Fayard.

Diese erste Berliner Zeit war für ihn „sowohl auf wissenschaftlicher als auch menschlicher Ebene eine äußerst bereichernde Erfahrung“, bei der er Herangehensweisen und DoktorandInnen verschiedenster Horizonte kennenlernte. „Das war zu Catherine Colliot-Thélènes Zeit. Mehrere Forscher, die inzwischen wieder in Berlin sind oder waren, waren damals schon am Centre – etwa Fabien Jobard, Laure de Verdalle oder auch Jakob Vogel, der gerade zum Direktor ernannt wurde.“ Nach der Aufnahme ans CNRS 2008 (mit Anbindung an das Institut de sciences sociales en politique) wandte sich Guillaume Mouralis einer anderen Epoche der deutschen Geschichte zu und betrachtete nun den internationalen Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher unter dem ungewöhnlichen Gesichtspunkt seiner Verbindungen zur amerikanischen Rassenfrage. „Ich wollte verstehen, warum die Amerikaner in Nürnberg so viel Einsatz zeigten, wo doch die amerikanischen Regierungen vor und nach 1945 starkes Misstrauen gegen das internationale Strafrecht an den Tag legten und sogar versuchten, dieses zu unterminieren.“ Bei Forschungsaufenthalten in Deutschland und den USA begann der Sozialhistoriker also, die Definition von rassistisch motivierten Verbrechen im spezifischen Fall der Nürnberger Prozesse zu hinterfragen. „Diese Verbrechen, die nach Nürnberger internationalem Strafrecht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten, werden sehr eng definiert. Sie können nicht außerhalb eines kriegerischen Kontextes geahndet werden, und die amerikanischen Juristen haben sehr genau darauf geachtet, dass die neuen, damals geschaffenen Straftatbestände in keiner Weise das Prinzip der absoluten Souveränität der Staaten verletzt. Ganz eindeutig hatten sie hier die amerikanischen Rassengesetze im Hinterkopf.

Dieses langfristig angelegte Forschungsprojekt bietet einen neuen Blick auf die amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts entlang der widersprüchlichen Beziehung der USA zum Völkerrecht. Auf der Grundlage dieser Forschung hat sich Guillaume Mouralis 2017 habilitiert. Aktuell arbeitet er an der Buchfassung, die Anfang 2019 bei den Presses de Science Po erscheinen soll. Diese Arbeit bildet einen wichtigen Meilenstein in seiner Karriere, die ihn 2017 ans Centre Marc Bloch geführt hat, wo er sich nun neuen Horizonten zuwendet.

Zunächst ist da sein neues Forschungsvorhaben, das sich anhand von zivilgesellschaftlichen oder Meinungs-Tribunalen gerade mit dem Fehlen von internationalem Recht beschäftigt. „Es handelt sich hier um alternative Tribunale, die in der Regel von Aktivisten einberufen werden. Angesichts des Rückzugs der internationalen Rechtsprechung nehmen diese die Dinge selbst in die Hand und richten Tribunale ein, um öffentlichkeitswirksam Verbrechen anzuprangern. Das erste historische Beispiel, das gleichzeitig den Kern meines Projekts ausmacht, ist das von Bertrand Russell initiierte Vietnam-Tribunal von 1966/67, an dem sich auch Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir beteiligten und das über die von den USA in Vietnam begangenen Kriegsverbrechen richtete.

Sein zweites großes Projekt am Centre Marc Bloch ist die gemeinsame Leitung des neuen Forschungsschwerpunkts „Staat, Recht und politischer Konflikt“ mit der Soziologin und Kriminologin Andrea Kretschmann. Der Schwerpunkt gründet sich unter anderem auf Fragen des Rechts, soll aber Arbeiten aus ganz verschiedenen Fächern hervorbringen. „Wir sind dafür zuständig, die verschiedenen Projekte zusammenzubringen und anhand der Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Herangehensweisen und wissenschaftlichen Horizonten eine starke Kohärenz zu schaffen.“ Die Arbeit des Schwerpunkts lässt sich in seinem Blog auf der Forschungsplattform Hypothèses.org nachvollziehen.

Interview: Sébastien Vannier


Kontakt:

Guillaume Mouralis
mouralis  ( at )  cmb.hu-berlin.de