“Wer sagt, er sei glücklich, lügt” Kritische Theorie in Bruchstücken: 70 Jahre Minima Moralia
11 novembre | 09h00
Centre Marc Bloch, Berlin 11.-13.11. 2021
Organisation: Susanna Zellini, Pierre Buhlmann, Philipp Nolz, Tobias Nikolaus Klass
Liveübertragung:
https://www.youtube.com/channel/UCqbsb4uF-PPbCjPl5izn5oA
Einleitung
Die Minima Moralia ist sicherlich eines der wichtigsten Werke der Kritischen Theorie und gleichzeitig die literarisch anspruchsvollste Schrift Theodor W. Adornos. In dieser Doppelgestalt mag der Grund zu finden sein, dass die Singularität und Eigenständigkeit der Minima Moralia in der Forschung bis heute weitgehend unbeachtet geblieben ist. Wir nehmen daher den 70. Jahrestag der Veröffentlichung der Minima Moralia (1951-2021) zum Anlass, um uns im Rahmen einer Tagung von 11. bis 13. November am Centre Marc Bloch Berlin (Kooperationspartner der Bergischen Universität Wuppertal) diesem Buch zu widmen. Dabei wollen wir über die traditionellen interpretativen und methodologischen Unterscheidungen hinausgehen, und im Dialog zwischen Philosophie und Literaturwissenschaften eine gemeinsame und eigenständige Lektüre des Werks vorschlagen.
Allgemeine Beschreibung
Es war vielleicht bisher noch zu früh, um die Wirkung und Tragweite der Minima Moralia zu bewerten. Dennoch lässt sich ein Sachverhalt deutlich herausheben: die Philosophie hat vor der Minima Moralia versagt. Da die Minima Moralia als „zu literarisch“ und zu „persönlich“ angesehen wurde, um Gegenstand einer ernsthaften philosophischen Analyse zu sein, ist sie bis heute Grundlage weniger Studien, von denen keine eine umfassende und historisch fundierte Lektüre des Werkes vorschlägt, die dem genuin philosophischen Gehalt der Schrift Rechnung trüge. Das hat die besonders verbreitete Gewohnheit begünstigt, das Werk lediglich als ein Arsenal beliebig verfügbarer Aphorismen zu betrachten, um die Interpretation anderer ,philosophischerer‘ Texte oder anderer Reflexionsbereiche in Adornos Werk zu untermauern. Breiter und trotzdem ebenso problematisch war die Rezeption in der Literaturwissenschaft: Da sie die Minima Moralia gewöhnlich in die deutsche aphoristische Tradition (von Lichtenberg über Nietzsche bis Benjamin) stellt, richtet sie die Analyse vor allem nach einer eher stilistisch-formalen als inhaltlichen Forschung, mit dem Risiko, den historischen Kontext und das theoretische Projekt, innerhalb dessen das Werk entstand, aus den Augen zu verlieren.
Es geht uns darum, die verschiedenen Disziplinen zusammenwirken zu lassen, um eine Interpretation vorzuschlagen, die die Singularität des Werks in ihr Zentrum rückt, seine Genese, die Verflechtung der Quellen und Projekte, in denen es Gestalt annimmt (Dialektik der Aufklärung, Philosophie der neuen Musik...), sowie die begriffliche Entwicklung seiner Terminologie berücksichtigt. Dadurch aber erweist sich die Minima Moralia als „ideales Laboratorium“ der Philosophie Adornos der 1940er Jahre: indem es die Ideen und Projekte auf originelle Weise assimiliert und transformiert, die im Umfeld der Epoche zirkulieren, verwirklicht es auf möglichst vollständige Weise die Verbindungen und Korrespondenzen zwischen Ästhetik, Ethik, Erkenntnis, Psychologie und Sozialkritik, die den hybriden Charakter des philosophischen Projekts Adornos bestimmen. Wie lassen sich aber die Texte der Minima Moralia ineinander und zueinander verstehen? Wie erlauben sie es, der philosophischen Gehalte gewahr zu werden, die in Form und Stil zum Ausdruck kommen? Ist es trotz der Gebrochenheit der Bausteine möglich, eine kritische Theorie in ihnen zu erkennen? Welche Begriffe der Theorie lassen sich aus ihnen noch gewinnen?
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Yasmin Afshar
yasmin.afshar ( at ) cmb.hu-berlin.de
Programme
Donnerstag, 11.11.2021
13h30-13h40 | Begrüßung durch die VeranstalterInnen Tobias Nikolaus Klass (Bergische Universität Wuppertal) und Katia Genel (Centre Marc Bloch Berlin) | |
13h40-14h00 | Einführung durch die OrganisatorInnen Susanna Zellini, Philipp Nolz, Pierre Buhlmann | |
14h00-14h45 | Eröffnungsvortrag von Stefan Müller-Doohm (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg): Beim Erdbeben läuten. Adornos intellektuelle Praxis der Provokation; | |
1. Sitzung: Können und Sollen | ||
15h00-15h40 | Katia Genel (Centre Marc Bloch Berlin/Université Paris 1): La Sittlichkeit déchirée - Adorno entre Kant et Hegel; | |
15h40-16h20 | Ernesto Ruiz-Eldredge (Université de Poitiers): Que faire de l’individu? Hegel et Freud dans Minima Moralia; | |
16h20-16h50 | Kaffeepause | |
16h50-17h30 | Pierre Buhlmann (Centre Marc Bloch Berlin): Der Unmöglichkeit eines richtigen Lebens zum Trotz - Zum Motiv des Glücks in der Minima Moralia; | |
17h30-18h10 | Aurélia Peyrical (Université Paris 10): Persönlichkeit und Individuum in der Minima Moralia und der Moralphilosophie Adornos; | |
18h10-18h30 | Pause | |
18h30-19h45 | Plenarvortrag von Josef Früchtl (Universiteit van Amsterdam): Lächeln ja, lachen nie? Adornos Beitrag zu einer streitlustigen Demokratie; | |
19h45 | Abendessen |
Freitag, 12.11.2021
2. Sitzung: Traurige Wissenschaft | |
9h00-9h40 | Eva Geulen (Humboldt-Universität Berlin/ Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung): Stil und Moral in den Minima Moralia; |
9h40-10h20 | Tobias Nikolaus Klass (Bergische Universität Wuppertal): Die Geste als Form; |
10h20-10h50 | Kaffeepause |
10h50-11h30 | Elisabetta Mengaldo (Università di Padova): “Die Negation abschlusshaften Denkens”. Kleine Philosophie und kleine Form in Adornos Minima Moralia; |
11h30-12h10 | Susanna Zellini (Universität Stuttgart): “Beschädigtem Leben Remedium zu sein”. Zur Frage der Form bei Minima Moralia; |
12h10-14h00 | Mittagessen
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3. Sitzung: Beschädigte Formen | |
14h00-14h40 | Lydia Goehr (Columbia University): Waiting and Wasting: Toward a Minima Moralia regarding the marketplace and monuments of art; |
14h40-15h20 | Ryan Crawford (Webster University Wien): Critical Theory and Philosophical Form; |
15h20-16h00 | Rok Benčin (Research Centre of the Slovenian Academy of Sciences and Arts Ljubljana): Adorno’s Monadology; |
16h00-16h30 | Kaffeepause |
16h30-17h10 | Hendrik Groß (TU Dresden): Aphorismengruppen. Adornos Minima Moralia als dichtes Gewebe; |
17h10-17h50 | Hanna Hamel (Leibniz-Zentrum für Literaturforschung Berlin): Philosophische Kurznachrichten oder: Wäre Adorno heute auf Twitter? |
Samstag, 13.11.2021
4. Sitzung: Kleinste Politiken? | |
9h00-9h40 | Antonia Birnbaum (Université Paris 8): Wozu noch Minima Moralia? |
9h40-10h20 | Helmer Stoel (Goethe-Universität Frankfurt/Main): Der Intellektuelle im Augenblick seines Sturzes. Deutung und Konformismus in der Minima Moralia; |
10h20-10h50 | Kaffeepause |
10h50-11h30 | Philipp Nolz (Université Paris 8): “Als sollte die Scham ihn überleben” - über moralische Weisheit und politische Torheit in Minima Moralia; |
11h30-12h10 | Yasmin Afshar (Centre Marc Bloch Berlin): Anmerkungen zur primären Erfahrung des Sozialen; |
12h10-12h50 | Henning Trüper (Leibniz-Zentrum für Literaturforschung Berlin): Über Moralisches Geschehen; |
12h50 | Verabschiedung |