November 2018
Vorwort
Im Verlaufe seiner mehr als 25-jährigen Geschichte hat das Centre Marc Bloch bereits eine ganze Reihe von Wechseln in seiner Leitung miterlebt. Nach Étienne François, Catherine Colliot-Thélène, Pascale Laborier, Patrice Veit und Catherine Gousseff darf ich nun als sechster Direktor das Centre Marc Bloch und seine lebendige Crew von ForscherInnen und DoktorandInnen in den nächsten Jahren führen. Das ist eine besondere Ehre und Herausforderung und ich bin froh, mit Markus Messling und ab dem 1. Januar 2019 Katia Genel zwei besonders kompetente und engagierte stellvertretende DirektorInnen an meiner Seite zu wissen. Dass wir uns auf ein eingespieltes Team in der Verwaltung und eine sehr aktive Gruppe von ForscherInnen und DoktorandInnen aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern, aber auch auf enge Beziehungen mit unseren Trägerinstitutionen stützen können, ist ein besonderes Glück bei dieser außerordentlich spannenden Aufgabe.
Das Centre Marc Bloch, das sich stets durch eine besonders dynamische, interdisziplinäre Forschung ausgezeichnet hat, ist längst aus der Berliner wie auch darüber hinaus aus der deutschen und französischen Wissenschaftslandschaft nicht mehr wegzudenken. Generationen von ForscherInnen und DoktorandInnen haben bei ihren Aufenthalten am CMB die Chance gehabt, sich wechselseitig über ihre eigenen Arbeiten wie auch die Forschungen anderer auszutauschen, Bücher und Aufsätze zu verfassen oder ihre Forschungen gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen und zu diskutieren.
Dieser besondere lebendige Austausch über disziplinäre und andere Grenzen hinweg soll auch in Zukunft unsere Stärke ausmachen, damit das CMB auch weiterhin die Rolle eines „Inkubators“ neuer Forschungsansätze und -themen besitzt. Gerade in der heutigen Zeit, in der „Drittmittel“ nicht nur in Deutschland zum Zauberwort des universitären Betriebs geworden ist, ist die Dynamik und Produktivität des gedanklichen Austauschs auch jenseits der klassischen Disziplingrenzen eine wichtige Basis für die Entwicklung neuer Projekte, die ihrerseits die vier Forschungsschwerpunkte des CMB bereichern.
Die beiden ERC-Projekte, die Leyla Dakhli und Camille Roth im vergangenen Jahr „gewonnen“ und am CMB angesiedelt haben, zeugen in diesem Sinne nicht nur von der Exzellenz der hier betriebenen Forschung, sondern auch von ihrer Lebendigkeit und dem Mut, neue Themen und Fragestellungen zu verfolgen! Dass sie gleichzeitig aber auch das Team und die ForscherInnen vor neue Herausforderungen stellt, gehört zu den erfreulichen Nebeneffekten derartiger Großprojekte, denen sich das CMB und seine neue Leitung gerne stellen.
Von den vier Forschungsschwerpunkten, welche die Forschung im Centre Marc Bloch bündeln, stellt dieser Newsletter den ersten vor, der sich elementar mit den verschiedenen Aspekten der Politik und des Politischen befasst. Unter dem Titel „ Staat, Recht und politischer Konflikt“ vereint er unter der Leitung von Andrea Kretschmann und Guillaume Mouralis ForscherInnen und DoktorandInnen aus der Soziologie, der Politikwissenschaft, den Geschichtswissenschaften und der Philosophie, die sich zweiwöchentlich zum internen Seminaraustausch treffen. Daneben werden aber auch andere kollektive Forschungsvorhaben, Tagungen und Workshops von dem Forschungsschwerpunkt organisiert.
Dies ist jedoch nur ein Beispiel für die vielfältige Forschung am CMB, von der wir Ihnen hier sowie schon sehr bald auch auf unserer neuen Webseite einige Ausschnitte vorstellen. Wir würden uns sehr freuen, Sie alle nicht nur als unsere Leserinnen und Leser, sondern recht bald auch bei einer unserer Veranstaltungen begrüßen zu dürfen!
Jakob Vogel
Jahresvortrag
Die französische Wissenschaftlerin Gisèle Sapiro wird am 15. Oktober den Jahresvortrag des Centre Marc Bloch halten. Die Veranstaltung zum Thema "Die Figur des Intellektuellen im Wandel" wird in Kooperation mit dem Wissenschaftskolleg zu Berlin organisiert.
Zum feierlichen Auftakt des akademischen Jahres lädt das Centre Marc Bloch jährlich wichtige Persönlichkeiten der französischsprachigen Wissenschaftslandschaft ein. Nach Henry Laurens (2015), Mireille Delmas-Marty (2016) und Enzo Traverso (2017) freuen wir uns nun, die renommierte Soziologin Gisèle Sapiro bei uns begrüßen zu dürfen.
Ausgehend von Zolas Engagement in der Dreyfus-Affäre hat sich in Frankreich eine Figur des "Intellektuellen" herauskristallisiert, die seither untrennbar mit kritischem Denken und der Verteidigung universeller Werte verbunden ist. Umso erstaunlicher mutet also an, dass derzeit ausgerechnet neoreaktionäre Intellektuelle am stärksten in den Medien vertreten sind, die sich die Bewahrung "nationaler Identitäten" auf die Fahne geschrieben haben und fremdenfeindliche Stimmung gegen Migranten verbreiten. Dieser Vortrag nimmt die Strukturen und den Wandel des intellektuellen Felds (nach Bourdieu) entlang seiner Kontinuitäten und Brüche seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in den Blick. Anhand des französischen Falls soll hierbei ein Modell erstellt werden, das zwischen verschiedenen Formen des intellektuellen Engagements – je nach symbolischem Kapital, Autonomie und Spezialisierung der Akteure – differenziert und Fragen nach der Rolle der Intellektuellen im heutigen Europa aufwirft.
Gisèle Sapiro ist Professorin für Soziologie an der EHESS und Forschungsdirektorin am CNRS sowie Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin 2018/2019. Nach einer vielfältigen akademischen Laufbahn, in der sie sich mit Poesie und Literatur, mit Philosophie und Soziologie beschäftigt hat, hat sie sich auf die Untersuchung der intellektuellen Sphäre sowie der internationalen Verbreitung von Ideen, insbesondere im Bereich der Literatur, spezialisiert. Seit ihrer Promotion bei Pierre Bourdieu im Jahre 1994 hat sie eine Vielzahl von Büchern und Artikeln veröffentlicht, unter anderem La Guerre des écrivains (1940-1953) (Fayard, 1999) und zuletzt Les Écrivains et la politique en France : De l'Affaire Dreyfus à la guerre d'Algérie (Le Seuil, 2018).
Datum: 15. Oktober 2018, 18 Uhr
Ort: Centre Marc Bloch, Germaine-Tillion-Saal (7. OG), Friedrichstraße 191, 10117 Berlin
Eintritt frei – Vortrag in französischer Sprache mit Simultanübersetzung
Anmeldung erwünscht: risbourque@cmb.hu-berlin.de
„We all wanna change the world“
Der internationale Workshop „We all wanna change the world“. The Revolutionary Sixties in the Mediterranean and the Middle East fand am 11. und 12. Oktober 2018 am Centre Marc Bloch in Berlin statt.
Ein halbes Jahrhundert nach dem legendären Jahr 1968 werden Erbe und Erinnerung der Global Sixties hauptsächlich anhand der Entwicklung einiger weniger Orte in Europa und den Vereinigten Staaten in den Blick genommen. Dutzende wichtige Protestbewegungen und revolutionäre Organisationen sowie breiter studentischer Aktivismus in Ländern des Mittelmeerraums und des Nahen Ostens bleiben jedoch in diesem eurozentrischen Narrativ unbeachtet.
Der Workshop befasste sich mit konkreten transnationalen Kontakten und Mobilitäten zwischen dem Mittelmeerraum, dem Nahen Osten und anderen Teilen der Erde während der revolutionären Global Sixties. Darüber hinaus wurde danach gefragt, wie verschiedene Strömungen innerhalb der breiteren Bewegung antiimperialistischen Protestes – nationalistisch, islamisch, feministisch, die Interessen der Dritten Welt vertretend – miteinander interagierten. Der Workshop legte zudem einen Fokus auf die Frage, wie sie sich durch Solidaritätsaktionen andere Widerstandsbewegungen, insbesondere in Algerien, Palästina, im Jemen und im Vietnam, zu eigen machten und sich paradigmatisch von ihnen inspirieren ließen. Die 1960er-Jahre wurden nicht allein aus der Perspektive transnationaler politischer und intellektueller Geschichte betrachtet, sondern auch in sozialgeschichtlicher Herangehensweise, die die Lebenswelten und Erfahrungen der Akteure aufgreift. Deshalb haben wir ebenfalls die Rolle von Gender, Jugend und körperlicher Performanz untersucht, welche die Bewegungen im Laufe des revolutionären Jahrzehnts geformt haben. Die gemeinsame Untersuchung dieses Zeitraumes ging über biografische Quellen und die Überbetonung der „Zeitzeugen“ hinaus und führte jüngere Ansätze der Geschichtsschreibung der revolutionären 1960er-Jahre zusammen.
Das detaillierte Programm ist hier einsehbar:
Diese Kooperation zwischen dem Centre Marc Bloch, dem Zentrum Moderner Orient und dem ERC-Projekt DREAM – „Drafting and Enacting the Revolutions in the Arab Mediterranean“ wurde von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert.
Jakob Vogel, erster deutscher Direktor des CMB
Am 1. September dieses Jahres hat Jakob Vogel die Nachfolge von Catherine Gousseff als Direktor des Centre Marc Bloch angetreten. Das Centre ist dem Historiker gut vertraut: Bereits als Postdoc-Forscher war er hier beschäftigt, später auch als stellvertretender Direktor.
„Die Vergangenheit hat natürlich eine große Bedeutung, gerade als Historiker weiß man das. Doch was ich heute besonders spannend finde, ist, neue Verbindungen und Kontakte für das Centre zu schließen und neue Synergien zu schaffen. Ich denke, dass sich hier eine ganze Reihe von interessanten Perspektiven ergeben.“ Jakob Vogel ist schon seit Langem eng mit dem CMB verbunden. Der gemeinsame Weg beginnt, als er an seiner Dissertation arbeitet – das Centre steckt damals noch in den Kinderschuhen: „Mein erster Kontakt mit dem CMB war eine Tagung zum Thema ‚Nation und Emotion‘, die ich als Doktorand an der FU gemeinsam mit Étienne François und Hannes Siegrist vorbereitet habe, als es das Centre noch gar nicht gab; das war eine der ersten Tagungen, die am CMB stattfanden. Offiziell kam ich erst 1995 mit einem Postdoc-Stipendium hierher. Wir waren damals nur sehr wenige Deutsche, das Centre zog vor allem junge Doktorandinnen und Doktoranden aus Frankreich an, die vom Berlin im Wandel nach der Wiedervereinigung fasziniert waren.“
Nach einer Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent am Frankreichzentrum der Technischen Universität Berlin kehrt Jakob Vogel 2006 als erster deutscher stellvertretender Direktor zurück ans CMB und arbeitet hier an der Seite von Pascale Laborier und Yves Sintomer. „Das Centre war zu diesem Zeitpunkt, nicht zuletzt auch dank der Förderung des BMBF, schon mehr und mehr eine binationale Institution geworden.“ Dieses deutsch-französische Miteinander spielte sich auch auf dem Fußballfeld ab. Zu dieser Zeit schloss sich eine kleine deutsch-französische Fußballmannschaft am CMB zusammen, und Jakob Vogel erinnert sich noch gut an die Sternstunde des Teams: ein Turnier in den Berliner Ministergärten.
Im Jahr 2008 wird Jakob Vogel auf die Professur für die Geschichte Europas und des europäischen Kolonialismus des 18. bis 20. Jahrhunderts an der Universität zu Köln berufen. „Das war eine sehr interessante und spannende Zeit, in der ich mich unter anderem sehr in der Doktorandenausbildung engagiert habe. So habe ich z.B. mit Kolleginnen und Kollegen am Aufbau einer Graduiertenschule mitgearbeitet. Aber als dann die Möglichkeit kam, nach Paris zu Sciences Po zu gehen, war das für mich eine ganz großartige Perspektive.“ An dieser renommierten Hochschule lehrt er als Professor für Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts am Centre d’histoire und leitet von 2016 bis 2018 die Zeitschrift Histoire@Politique. Er unterrichtet sowohl in Paris als auch auf dem deutsch-französischen Sciences-Po-Campus in Nancy und in Reims. „Die Zeit in Reims, wo ich im euro-afrikanischen Studiengang lehrte, war äußerst spannend, da ich meinen Blick auf die europäische Geschichte des 19. Jahrhunderts hier viel stärker globalhistorisch ausrichten musste.“
Die Erfahrungen in Köln und Paris bleiben für Jakob Vogel prägend. „Ich bin jemand, der extrem gerne reist, und ich bin immer wieder der Meinung, dass auch für uns Historiker und Sozialwissenschaftler Reisen und Auslandsaufenthalte extrem wichtig sind, um die Perspektive zu wechseln und sich neue Forschungsfelder zu erschließen. In Köln habe ich mich z.B. mit der Geschichte des Osmanischen Reiches und des Mittelmeerraumes beschäftigt, was für mich völlig neu war. In den letzten Jahren hat sich wiederum meine alte Liebe für Lateinamerika neu entwickelt, die ich im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus Brasilien, Mexiko oder Chile auch in meine Forschungen einbringen konnte. Solche Begegnungen sind außerordentlich wichtig, um sich auch über das Deutsch-Französische hinaus die breiteren europäischen Verbindungen vor Augen zu führen.“ Und mit einem Zitat des französischen Künstlers Francis Picabia fügt er hinzu: „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann.“
Die europäische und internationale Ausrichtung des CMB zu stärken, das ist also eines der Ziele, die sich Jakob Vogel für sein Mandat gesetzt hat. Sein Antritt als neuer Direktor ist an sich bereits ein Ereignis, denn er ist der erste Forscher an der Spitze des Centre Marc Bloch, der aus Deutschland stammt: „Vor dem Hintergrund meiner eigenen Biografie und der Rolle, die das Centre in meiner Laufbahn gespielt hat, hat diese Etappe für mich eine ganz besondere Bedeutung, und ich bin mir der großen Verantwortung bewusst, die diese Stelle mit sich bringt. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, die exzellente deutsch-französische und interdisziplinäre Forschung hier am CMB weiter voranzubringen und ihr neue Anregungen zu geben, wobei ich auch aus meinen Erfahrungen außerhalb des Centre Marc Bloch schöpfen kann.“
Interview: Sébastien Vannier
Recht in Bewegung
Rechtliche Phänomene sind in den letzten Dekaden nur relativ selten in den Mittelpunkt sozialwissenschaftlicher Debatten gerückt, wobei es freilich Unterschiede in den einzelnen Ländern und Wissenschaftskulturen gibt. In den Sozial- und Geisteswissenschaften, und hier vor allem in den deutschsprachigen Ländern, wurde das Recht als Gegenstand nach einer kurzen Konjunktur, die von den 1970er- bis in die 1990er-Jahre reichte, fast ganz aus den universitären Lehrplänen verdrängt. Anders sieht die Lage in Frankreich aus, wo seit den 1990er-Jahren ein steigendes Interesse der Sozialwissenschaften (Soziologie, Geschichte, Politikwissenschaften und Anthropologie) zu beobachten ist. Dennoch ist auch hier die Auseinandersetzung mit rechtsbezogenen Themen weniger ausgeprägt als die mit anderen Themenfeldern.
In den letzten Jahren jedoch sind vor allem in den deutschsprachigen Wissenschaften vermehrt Bestrebungen erkennbar, Recht als wissenschaftlichen Gegenstand erneut aufzugreifen. Ob in der Anthropologie, der Soziologie, den Geschichtswissenschaften, den Politikwissenschaften oder (im Rahmen sozialwissenschaftlicher Forschung) den Rechtswissenschaften – überall lässt sich ein erneutes bzw. verstärktes Interesse an einer sozial- und geisteswissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Recht erkennen. Dieses Interesse gründet u.a. auf der Beobachtung, dass Recht in unseren Gegenwartsgesellschaften nicht nur eine tragende, sondern heute durch Verrechtlichungstendenzen auch eine immer bedeutendere und nicht selten politisiertere Rolle spielt. Dieser erkennbare Wandel des Rechts wirft für die Sozial-, Rechts- und Geisteswissenschaften neue Fragen zur gegenwärtigen, aber auch zur historischen Beschaffenheit, Rolle und Funktion des Rechts auf. Recht gerät hier buchstäblich – und zwar in einem doppelten Sinne – in Bewegung.
Aus ebendiesem Grund setzt auch das Centre Marc Bloch seit einiger Zeit einen Schwerpunkt auf die Analyse des Rechts; vertreten durch ForscherInnen, Promovierende und Assoziierte aus Frankreich und Deutschland in Forschungsprojekten, Ringvorlesungen, Tagungen, Seminaren und Publikationen wie auch durch eine ständige Kooperation mit der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität. Im inhaltlichen Fokus steht die Entstehung und Umsetzung gesellschaftlicher und formalrechtlicher Normen durch Regierungen und staatliche Verwaltungen, aber auch durch soziale Gruppen. Die Forschenden am Centre berücksichtigen zum einen nicht-staatliche Einheiten und Gemeinschaften, die sich abseits des Staates oder in aktiver Opposition zu ihm positionieren. Hier wird etwa der Umgang sozialer Bewegungen mit Recht thematisiert. Zum anderen werden staatliche, trans- und internationale Regelsysteme untersucht, etwa anhand der Entstehung internationaler Gerichtshöfe und Rechtsbestände. In beiden Feldern wird neben der Genese und Strukturiertheit der (Rechts-)Normen deren Anwendung durch die Verwaltung oder die RechtsadressatInnen analysiert. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Frage nach der Aneignung von gelebten oder kodifizierten Normen in der professionellen und nicht-professionellen juristischen Praxis.
Besonders gewinnbringend in der Zusammenarbeit am Centre ist die Auseinandersetzung mit dem deutsch- und dem französischsprachigen Forschungsstand, da beide sich in ihren theoretischen Anlagen, aber auch in ihren Forschungsfragen teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Zudem ermöglicht der Kontext des Centre es in besonderem Maße, Vergleiche zwischen dem deutschen und dem französischen Rechtssystem vorzunehmen, wodurch sich Besonderheiten, aber auch Gemeinsamkeiten in und zwischen beiden aufdecken lassen.
In diesem Dossier stellen wir einige der ProtagonistInnen dieses Forschungskontexts vor und geben exemplarisch Einblick in einige einschlägige Forschungsaktivitäten: Sébastien Vannier stellt den Forscher Guillaume Mouralis vor. Tim Wihl präsentiert seine laufende Arbeit zum Thema „Protestrecht“, und Ulrike Zeigermann berichtet über eine für Januar 2019 geplante Tagung zum Thema „Laien im Recht“, die in Kooperation mit der Universität Magdeburg stattfindet. Andrea Kretschmann stellt abschließend einen von ihr herausgegebenen und in Kürze im Verlag Velbrück erscheinenden Sammelband zum Thema „Pierre Bourdieus Rechtsdenken“ vor.
Text: Andrea Kretschmann, Guillaume Mouralis
Foto: MichelGaida, pixabay
G. Mouralis, Co-Leiter des Schwerpunkts „Staat, Recht und politischer Konflikt“
Der CNRS-Forscher Guillaume Mouralis arbeitet seit 2017 am Centre Marc Bloch. Gemeinsam mit Andrea Kretschmann leitet er den Schwerpunkt „Staat, Recht und politischer Konflikt“. In seiner Forschung, die von den Prozessen kommunistischer Beamter über die Nürnberger Prozesse bis hin zu zivilgesellschaftlichen Tribunalen reicht, verknüpft er Soziologie und Historiografie, um nationale und internationale Praktiken des Rechts auszuleuchten.
Etwas nostalgisch ruft sich Guillaume Mouralis seinen ersten Aufenthalt am Centre Marc Bloch in Erinnerung, als unter den Fenstern seines Arbeitsplatzes am Schiffbauerdamm noch die Boote vorbeizogen: „Ich habe drei Jahre hier verbracht – von 2000 bis 2003 –, um meine Promotion über die Prozesse gegen ex-DDR-Staatsangestellte nach der Wiedervereinigung vorzubereiten. Ich bin der Frage nachgegangen, warum in Deutschland so viele DDR-Beamte und -Funktionsträger strafrechtlich verfolgt wurden, während sie in den anderen ehemals kommunistischen Ländern kaum juristisch behelligt wurden. Um das zu verstehen, was ich als ‚épuration judiciaire‘, also ‚justizielle Säuberung‘, bezeichnet habe, habe ich eine detaillierte Untersuchung über die Entstehungsgeschichte dieser Prozesse durchgeführt und festgestellt, dass der juristische Kalte Krieg zwischen BRD und DDR, aber auch die westdeutsche Erfahrung der NS-Prozesse eine entscheidende Rolle in der Gestaltung der DDR-Prozesse nach 1990 gespielt haben.“ Seine Doktorarbeit erschien 2008 unter dem Titel Une épuration allemande. La RDA en procès. 1949-2004 bei Fayard.
Diese erste Berliner Zeit war für ihn „sowohl auf wissenschaftlicher als auch menschlicher Ebene eine äußerst bereichernde Erfahrung“, bei der er Herangehensweisen und DoktorandInnen verschiedenster Horizonte kennenlernte. „Das war zu Catherine Colliot-Thélènes Zeit. Mehrere Forscher, die inzwischen wieder in Berlin sind oder waren, waren damals schon am Centre – etwa Fabien Jobard, Laure de Verdalle oder auch Jakob Vogel, der gerade zum Direktor ernannt wurde.“ Nach der Aufnahme ans CNRS 2008 (mit Anbindung an das Institut de sciences sociales en politique) wandte sich Guillaume Mouralis einer anderen Epoche der deutschen Geschichte zu und betrachtete nun den internationalen Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher unter dem ungewöhnlichen Gesichtspunkt seiner Verbindungen zur amerikanischen Rassenfrage. „Ich wollte verstehen, warum die Amerikaner in Nürnberg so viel Einsatz zeigten, wo doch die amerikanischen Regierungen vor und nach 1945 starkes Misstrauen gegen das internationale Strafrecht an den Tag legten und sogar versuchten, dieses zu unterminieren.“ Bei Forschungsaufenthalten in Deutschland und den USA begann der Sozialhistoriker also, die Definition von rassistisch motivierten Verbrechen im spezifischen Fall der Nürnberger Prozesse zu hinterfragen. „Diese Verbrechen, die nach Nürnberger internationalem Strafrecht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten, werden sehr eng definiert. Sie können nicht außerhalb eines kriegerischen Kontextes geahndet werden, und die amerikanischen Juristen haben sehr genau darauf geachtet, dass die neuen, damals geschaffenen Straftatbestände in keiner Weise das Prinzip der absoluten Souveränität der Staaten verletzt. Ganz eindeutig hatten sie hier die amerikanischen Rassengesetze im Hinterkopf.“
Dieses langfristig angelegte Forschungsprojekt bietet einen neuen Blick auf die amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts entlang der widersprüchlichen Beziehung der USA zum Völkerrecht. Auf der Grundlage dieser Forschung hat sich Guillaume Mouralis 2017 habilitiert. Aktuell arbeitet er an der Buchfassung, die Anfang 2019 bei den Presses de Science Po erscheinen soll. Diese Arbeit bildet einen wichtigen Meilenstein in seiner Karriere, die ihn 2017 ans Centre Marc Bloch geführt hat, wo er sich nun neuen Horizonten zuwendet.
Zunächst ist da sein neues Forschungsvorhaben, das sich anhand von zivilgesellschaftlichen oder Meinungs-Tribunalen gerade mit dem Fehlen von internationalem Recht beschäftigt. „Es handelt sich hier um alternative Tribunale, die in der Regel von Aktivisten einberufen werden. Angesichts des Rückzugs der internationalen Rechtsprechung nehmen diese die Dinge selbst in die Hand und richten Tribunale ein, um öffentlichkeitswirksam Verbrechen anzuprangern. Das erste historische Beispiel, das gleichzeitig den Kern meines Projekts ausmacht, ist das von Bertrand Russell initiierte Vietnam-Tribunal von 1966/67, an dem sich auch Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir beteiligten und das über die von den USA in Vietnam begangenen Kriegsverbrechen richtete.“
Sein zweites großes Projekt am Centre Marc Bloch ist die gemeinsame Leitung des neuen Forschungsschwerpunkts „Staat, Recht und politischer Konflikt“ mit der Soziologin und Kriminologin Andrea Kretschmann. Der Schwerpunkt gründet sich unter anderem auf Fragen des Rechts, soll aber Arbeiten aus ganz verschiedenen Fächern hervorbringen. „Wir sind dafür zuständig, die verschiedenen Projekte zusammenzubringen und anhand der Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Herangehensweisen und wissenschaftlichen Horizonten eine starke Kohärenz zu schaffen.“ Die Arbeit des Schwerpunkts lässt sich in seinem Blog auf der Forschungsplattform Hypothèses.org nachvollziehen.
Interview: Sébastien Vannier
Publikation: Das Rechtsdenken Pierre Bourdieus
Pierre Bourdieu ist ein Klassiker der Soziologie; er gilt als der meistzitierte Soziologe der Nachkriegszeit. Sein Rechtsdenken ist jedoch – selbst innerhalb des frankophonen Wissenschaftskontextes – immer noch relativ unerschlossen. Hierzu mag einerseits die Bruchstückhaftigkeit seines Rechtsdenkens beitragen (Bourdieu hat sich nie systematisch mit dem Recht auseinandergesetzt), andererseits der Umstand, dass sich seine Thesen erst vor dem Hintergrund seines Gesamtwerks erschließen. Hinzu kommt, dass sich sein Rechtsdenken keiner rechtstheoretischen Strömung zuordnen lässt.
Bourdieus Auseinandersetzung mit dem Recht birgt für die sozialwissenschaftlich ausgerichtete Rechtsforschung jedoch einiges an Potenzial, um die Rolle und Funktionsweise des Rechts in Gesellschaften besser zu verstehen und zu erklären; auch wenn er hierbei weder ausformulierte Soziologiken noch empirisch fundierte Analysen beibringt. So wusste Bourdieu etwa auch im Recht Subjektkonzeptionen mit größeren gesellschaftlichen Entwicklungen zu verweben, er legte konzeptionelle Hinweise auf die Verzahnung von rechtlicher Struktur und professioneller und alltäglicher Praxis an oder kombinierte strukturelle und symbolische Qualitäten von Recht. Gelesen in Verbindung mit seinem übrigen Werk, hält er so einen reichhaltigen Fundus bereit, aus dem sich rechtssoziologisch schöpfen und der sich weiterentwickeln lässt.
Der in Kürze bei Velbrück Wissenschaft erscheinende Sammelband Pierre Bourdieus Rechtsdenken nähert sich Bourdieus Rechtsdenken systematisch an. Zu diesem Zweck werden einschlägige Texte Bourdieus zum Recht erstmals in deutscher Sprache zugänglich gemacht und an Bourdieus Rechtsdenken angelehnte sozialtheoretische und empirische Beiträge aus der deutschsprachigen und der französischsprachigen Wissenschaftskultur versammelt. Beiträge aus Soziologie, Geschichte, Politik- und Rechtswissenschaften setzen sich mit Bezug auf das Recht mit Bourdieus Grundbegriffen auseinander und zeigen auf, wie sich diese innerhalb der einzelnen Disziplinen für empirische Analysen nutzbar machen lassen.
Der Band will so einen Beitrag zu der sich allmählich entwickelnden Auseinandersetzung mit Bourdieus konzeptionellen Werkzeugen für theoretische und empirische sozialwissenschaftliche Analysen des Rechts leisten. Er richtet sich an RechtssoziologInnen und mit dem Gegenstand „Recht“ befassende SozialwissenschaftlerInnen anderer Disziplinen ebenso wie an SoziologInnen und SozialwissenschaftlerInnen, die sich allgemeiner mit Bourdieus Werk beschäftigen. Nicht zuletzt adressiert der Band auch rechtssoziologisch interessierte RechtswissenschaftlerInnen.
Text: Andrea Kretschmann
Foto: Thierry Hermann, flickr
Andrea Kretschmann (Hg.), Pierre Bourdieus Rechtsdenken, Weilerswist-Metternich: Velbrück Wissenschaft, im Druck.
Protestrecht
In diesem Forschungsprojekt geht es darum, die rechtlichen Konsequenzen eines Formwandels des politischen Protests zu untersuchen. Das Ziel ist nicht, ein neues Rechtsgebiet zu etablieren, sondern vielmehr auf Querverbindungen zwischen überkommenen juristischen Fragestellungen aufmerksam zu machen und einen sozialwissenschaftlich informierten theoretischen Unterbau zu liefern. Bisher ist es hingegen eher unüblich, Probleme des Demonstrationsrechts, des Rechts der politischen Vereine oder des politischen Strafrechts durch die Brille der Protestforschung als juristisches Ensemble zu betrachten. Das Postdoc-Projekt ist institutionell am Fachbereich „Politik und Recht“ des Otto-Suhr-Instituts der FU Berlin (Prof. Dr. Christian Volk) angesiedelt und wird auch dort finanziert. Es ist auf drei Jahre angelegt.
Im ersten Schritt gilt es, in Kooperation gerade auch mit SozialwissenschaftlerInnen und HistorikerInnen am Centre Marc Bloch eine begriffliche Definition des politischen Protests zu erarbeiten, die für die Rechtswissenschaft handhabbar ist.
Im zweiten Schritt wäre dieser Begriff an verschiedenen Phänomentypen klassifikatorisch auszufalten, wobei ein Schwerpunkt auf dem Wandel der Protestformen liegen soll.
Drittens wären bisherige Reaktionsweisen, aber auch Überformungen des Protests im Verfassungs- und Verwaltungsrecht nachzuzeichnen. Die Folgen für das angrenzende politische Strafrecht und das Zivilrecht werden dadurch zwangsläufig berührt. Rechtsvergleichende Exkurse, die politisch-kulturell zu kontextualisieren sind, können in diesem Zusammenhang Regelungsalternativen illustrieren. Besonders aufschlussreich scheint hier das französische Beispiel – man denke nur an die Erlaubnis zum politischen Streik.
Viertens will das Projekt, inspiriert durch die dargestellten Alternativen, möglichen Reformbedarf aufzeigen.
Akademisch eröffnet sich mit der Protestforschung ein weites Feld. Hier ist es nicht das Ziel des Projekts, neue empirische Einsichten zu gewinnen. Die Sozialwissenschaft liefert diese mit der Protest- und Bewegungsforschung schon seit langer Zeit. Die Rechtswissenschaft hat dieser Perspektive höchstens hinzuzufügen, dass das Recht selbst nicht nur reaktiv neuen gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt, bekannte Gefahren präventiv abwehrt oder überkommene Ordnung repressiv wiederherzustellen trachtet, sondern Protest auch erst ermöglichen kann und Unordnung sogar herausfordern mag. Der Autor schließt hier an seine bisherige Forschung zu „Aufhebungsrechten“ an. Rechte sind aus dieser Sicht eine moderne Rechtsschicht, die sich fundamental von ordnendem, repressivem Recht unterscheidet. Sie sind Institutionen rechtlicher Ermöglichung politischen Fortschritts hin zu mehr gleicher Freiheit in Individualität. Die Hypothese ist, dass das Protestrecht eine Widerspiegelung dieses Gedankens im einfachen Recht darstellt. Wir sind an den Grenzen des ordnenden Rechts und treiben es – rechtlich! – immer aufs Neue über sich selbst hinaus.
Der Formwandel des Politischen, den die Geschichts- und Politikwissenschaft fast einmütig diagnostiziert – hervorgehoben seien hier die Forschungen von Pierre Rosanvallon zur „contre-démocratie“ –, muss sich in einem Wandel der Protestformen, -teilnehmenden und ‑formate niederschlagen. Naheliegende Stichworte sind hier Individualisierung, Digitalisierung, Transnationalisierung. Inwiefern darüber hinaus weitere Tendenzen wirksam werden, ist ein innovativer Schwerpunkt des Projekts.
Theoretisch bedeutsam ist darüber hinaus, inwieweit wir es mit einer „dritten Sphäre“ des Öffentlichen neben Staatsapparat und Privateigentümergesellschaft zu tun haben. Während sich der Staat und die Marktgesellschaft weltweit ausreichend bis hervorragend zu halten oder gar zu expandieren vermögen, gerät diese dritte, nicht konkurrenz- oder sicherheitsorientierte Sphäre eines „wahrhaft menschlichen“, sinnerfüllten Daseins ins Hintertreffen. Welche Rolle und Verantwortung hat hier das Recht?
Es muss – so das Postulat – den Staat wie auch den Markt zurückzudrängen helfen und Menschen ermächtigen, individuell und kollektiv Sinngebung zu wagen. Das Recht kann hier, anders als es bestimmte marxistische Strömungen insinuieren, eine konstruktive, wenn auch vielleicht nicht die entscheidende Rolle spielen. Das Protestrecht ist Grenzauflöser von Ordnungskategorien und -mächten sowie Glutkern des „neuen Rechts“ menschlicher Emanzipation.
Christoph Menke hat in seinem Buch „Kritik der Rechte“ einen Vorschlag unterbreitet, wie dieses „neue Recht“ zu begreifen sei: angelehnt an Nietzsches Figur des Sklavenaufstandes nämlich, allerdings mit einer „inneren Gegenwendigkeit“ (Kolja Möller), die sich gegen einen jakobinischen Voluntarismus wendet, der seine Instantiierungsbedingung des Aufstandes aus dem Blick verliert. Es drohen in der Politik beständig Reifizierungen des Daseienden, gerade auch nachdem sich eine neue Ordnung etabliert hat. Dies ist der Moment, in dem aufhebendes in ordnendes Recht umzuschlagen droht. Der entsprechende Umschlag ist zu vermeiden, indem aktives und passives Moment des Aufstandes in eine Balance gebracht werden. Das aktive Moment ist das teilnehmende Aufbegehren, das passive Moment ist der sich auf sich zurückziehende Widerwillen. Es ist wesentlich, in der Kategorie des Protestrechts für beide Momente einen Ort bereitzuhalten. Denn ein Recht der beständigen Teilnahme könnte nicht mehr ein aufhebendes sein, weil es seine eigene Grundlage nicht mehr infrage stellt. Daher muss beispielsweise ein Recht der Versammlung nicht nur antinomisch die inhaltliche Gegen-Versammlung schützen, sondern auch dialektisch die andere Versammlung, die das bisherige politische Handeln durch neue Formen nach herkömmlicher Kognition stummen, typischerweise unhörbaren Protests unterläuft. Es wäre auszuloten, welche Spielarten des stummen Protests ein falsches Ressentiment kanalisieren und welche Typen im Gegenteil ein wahres Bedürfnis, „nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault), zum Ausdruck bringen. Das Distinktionskriterium dürfte im Aufhebungspotenzial des passiven, aber auch des aktiven Protests zu suchen sein. Auf die Ausfaltung dieses Kriteriums, das von der naiven Verherrlichung jeglicher politischer Teilnahme ebenso wie von der Abwertung jedes stummen Protests absieht, müsste ein neues „Protestrecht“ abzielen, um damit das unnennbare Dritte unserer gesellschaftlichen Ordnung zu stabilisieren, nach dem wir uns politisch sehnen.
Wenn die Kooperation am Centre Marc Bloch diesem Neubeginn einen Ort ordnender Reproduktion sozialwissenschaftlicher Erkenntnis und rekonstruktiver Neuordnung des Rechtsbestandes schafft, ist vielleicht ein kleiner Fortschritt erreicht.
Text: Tim Wihl
Tagung: „Laien im Recht“
Im Wintersemester 2018/2019 setzt sich der Forschungsschwerpunkt „Staat, Recht und politischer Konflikt“ mit der in der geistes- und sozialwissenschaftlichen Rechtsforschung bislang wenig berücksichtigten Rolle von LaiInnen im Recht auseinander. Um anhand dieses Themas bestehende Annahmen über den sozialen Ort des Rechts empirisch und theoretisch zu hinterfragen und gegebenenfalls neu zu denken, findet vom 17. bis 18. Januar 2019 in Kooperation des Centre Marc Bloch und der Universität Magdeburg eine interdisziplinäre Tagung mit WissenschaftlerInnen aus dem deutsch-französischen Kontext statt, auf der erstmals ganz verschiedene Ebenen und Forschungsperspektiven des Phänomens „LaiInnen“ im Recht zusammengebracht werden und versucht wird, dieses allgemein zu theoretisieren.
In modernen Gesellschaften nimmt Recht eine immer bedeutendere Stellung ein. Im Zuge dieser Entwicklung hinterfragen heute zahlreiche geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen – so die Rechts- und Geschichtswissenschaften, die Anthropologie, Soziologie und Politikwissenschaft – die historische Beschaffenheit, die Rolle und die Funktion von Recht in Gegenwartsgesellschaften. Bislang wird Recht dabei in erster Linie oder gar ausschließlich unter Berücksichtigung von RechtsexpertInnen und/oder Rechtsinstitutionen untersucht. Entsprechend hat die sozialwissenschaftliche Rechtsforschung die Analyse des Rechts bzw. rechtlicher Kategorien „unterhalb“ der Institutionen als wenig relevant begriffen und LaiInnen als bloße KonsumentInnen des Rechts weitgehend ausgeklammert. Dem stehen jedoch Studien entgegen, die aufzeigen, dass Recht von nicht-rechtlichen AkteurInnen durchaus mitgestaltet wird – dies u.a. im Rahmen ihrer Lebenswelten und mithin auch unterhalb der Institutionen, so etwa, wenn sich LaiInnen in ihrem Alltag auf konkrete Rechtsinhalte oder rechtliche Kategorien beziehen, sich diese aneignen oder sie opponieren.
Mit der zweitägigen Tagung soll zu einer weiteren Stärkung dieses neu erwachsenden Interesses am Recht beigetragen und die Rolle von LaiInnen im Recht genauer untersucht werden. Den Rahmen bilden folgende Leitfragen: Wie hat sich die Abgrenzung von LaiInnen und RechtsexpertInnen historisch entwickelt? Inwieweit sind LaiInnen an der Rechtsfortbildung und dem Wandel rechtlicher Logiken beteiligt? Wie betreiben LaiInnen (individuelle und kollektive) Rechtsmobilisierung? Wie werden LaiInnen durch das Recht geprägt?
Text: Ulrike Zeigermann
Interessierte Promovierende und ForscherInnen sind dazu eingeladen, sich bis zum 01.11.2018 mit einem kurzen Abstract (100–300 Wörter) zu ihrem geplanten Beitrag bei den OrganisatorInnen Ulrike Zeigermann, Andrea Kretschmann und Guillaume Mouralis zu melden.