Mobilität, Migration und räumliche Neuordnung
Verantwortlich: Denis Laborde, Esther Möller
Co-Organisation: Layla Kiefel, Alice Lacoue-Labarthe
Der Schwerpunkt beschäftigt sich mit der Transformation von Räumen, der Evolution von Mobilitäten und Prozessen der Migration. Aus interdisziplinärer Perspektive adressieren wir die temporalen, sozialen sowie räumlichen Dimensionen dieser Veränderungen.
Die Forschenden des Schwerpunkts „Mobilität, Migration und räumliche Neuordnung“ befassen sich mit Transformationen und Neukonfigurierungen von Räumen im Kontext des Wandels von Institutionen, Grenzen und individuellen Handlungsbedingungen. Der Schwerpunkt baut auf die Errungenschaften der am Centre Marc Bloch entwickelten Forschungsarbeiten auf und vertieft diese in neuer Perspektive. Im Zentrum steht ein empirischer Ansatz, der die Wechselwirkungen zwischen der spezifisch situierten Feldforschung, den Analysekategorien und der Herausbildung theoretischer Reflexion hervorhebt. Ein weiteres Merkmal des Schwerpunkts ist der Fokus auf den europäischen Raum, insbesondere auf Frankreich, Deutschland und Osteuropa. Gleichzeitig werden zunehmend auch globale Prozesse und außereuropäische Räume (z.B. Nord- und Westafrika oder Lateinamerika) in den Blick genommen und überregionale Vergleiche durchgeführt.
Stadt, Viertel, Region und Grenzraum bilden wichtige Verankerungspunkte für die stark vom spatial turn beeinflussten Recherchen. Europa wird als Sozialraum verstanden, dessen Kohärenz es zu hinterfragen gilt.
Der deutsch-französische Vergleich ist eine besondere Stärke des Schwerpunkts. So werden die Thesen von der europäischen Konvergenz und umgekehrt jene von der hartnäckigen Differenz der sozialen Prozesse zweier benachbarter und eng verbundener Länder fortwährend auf den Prüfstand gestellt. Die empirischen Arbeiten in Bezug auf Mittel- und Osteuropa wie auch der vergleichende Blick auf andere Regionen der Welt ermöglichen es, Regionalisierungsprozesse, Migrations- und Mobilitätsbewegungen zu untersuchen.
Die vergleichenden Forschungsarbeiten über die räumlich und institutionell wichtigen europäischen Gesellschaften Deutschlands und Frankreichs stellen immer auch deutsche und französische Wissenschaftstraditionen und Denkansätze gegenüber, wie das Begriffspaar Raum/Migration illustriert: auf der einen Seite ein Land, dessen Blick auf Migration aus dem ‚Globalen Süden‘ vom kolonialen Erbe, auf der anderen Seite von der Gastarbeiter-Politik geprägt ist, wobei ein jeweils unterschiedliches Staatsmodell – zentralistisch oder föderalistisch – zum Tragen kommt. Dies verdeutlicht die Bedeutung des historischen Kontexts für aktuelle Migrationsprozesse und für den Umgang mit Migration in den Gesellschaften der beiden Länder. Basierend auf den Ergebnissen des Projekts „Phantomgrenzen in Ostmitteleuropa“, welches sich mit der Konstruktion und Ausbildung ‚kultureller Grenzen‘ in Europa befasste, liegt ein Forschungsschwerpunkt auf der Region Osteuropa. Vor dem Hintergrund der jüngsten Destabilisierungsprozesse im Osten, die den gesamten europäischen Raum unter Spannung setzen, drängt sich Osteuropa heute geradezu als Forschungsterrain auf.
Drei große Themenkomplexe werden bevorzugt beforscht:
(1) Migration und Mobilität: Akteure und Praktiken: Die in den letzten Jahren stark angestiegene Mobilität und Migration über nationale Grenzen hinweg stellt eine der wichtigsten gesellschaftlichen Veränderungen dar. Mobilität wird als Zeichen sozio-ökonomischen Erfolgs gesehen. Allerdings leidet ein großer Teil der mobilen Menschen unter prekären Umständen, wie z.B. Geflüchtete. Somit ist Mobilität heute eine zentrale Dimension sozialer Ungleichheit. Die Frage ist, wie Mobilität in der Gesellschaft ‚verteilt‘ ist und welche Politik auf europäischem, nationalem und lokalem Niveau Mobilität unterstützt bzw. einschränkt.
(2) Sozialräumliche Differenzierung und Polarisierung in der Stadt: Mobilität und Migration führen zu einer weiteren sozialen Differenzierung unserer Gesellschaften. Gerade in Städten ist diese Polarisierung sichtbar, z.B. anhand ethnisch und sozial segregierter Quartiere. Durch steigende Mieten und der Privatisierung von sozialem Wohnungsbau wird es für ärmere Bevölkerungsgruppen immer schwerer, sich bezahlbaren Wohnraum sowie Zugang zu Ressourcen zu sichern. Zudem werden ethnische Minderheiten oft diskriminiert. Wir untersuchen, wie sich Veränderungen auf der Makroebene durch Migration und Mobilität in der Stadt widerspiegeln und welche Konsequenzen sich für verschiedene soziale Gruppen in der Stadt ergeben.
(3) Grenzen, Zirkulationen, Produktion von räumlicher Differenzierung in Europa: Hier werden Praktiken und Prozesse der Produktion von Grenzen, die Anfälligkeit räumlicher Differenzierung sowie die Legitimation dieser Differenzierung erforscht. Auf Grundlage der bestehenden Forschung zu Grenzräumen entstehen so neue Perspektiven auf die jüngsten Regionalisierungen Europas als dynamische Prozesse. In diesem Sinne bildet Osteuropa, das derzeit einen erneuten tiefgreifenden Wandel mit neuartigen Spannungen und essentialisierenden Diskursen erfährt, eines der wichtigsten Terrains des Teilbereichs.