Leben am Centre

SOMMERINTERVIEW mit Teresa Koloma Beck

16. Juli 

Sie können das komplette Sommerinterview mit Teresa Koloma Beck inkl. einer Fotoauswahl von ihrem Forschungsaufenthalt in Afghanistan im Anhang als pdf-Dokument herunterladen.

Alltag am Hindukusch

Das Interview wurde von Hannes Käckmeister geführt.


Teresa Koloma Beck ist Leiterin der Nachwuchsgruppe ‚Urbane Gewalträume‘ im deutsch-französischen Forschungsverbund ‚Saisir l’Europe‘. Der Schwerpunkt ihrer akademischen Arbeit liegt in der sozialwissenschaftlichen Forschung zu Gewaltkonflikten. Von März bis Mai dieses Jahres war sie im Rahmen ihres aktuellen Forschungsprojektes für einen ethnographischen Forschungsaufenthalt in Kabul, Afghanistan. Teresa Koloma Beck berichtet uns aus diesem Land der Extreme, in dem sie zwischen Paschtunen und Tadschiken, zwischen Panzern und Blumenfeldern, zwischen Ausnahmezustand und Normalität nach dem Alltag der Menschen sucht.


Im April 2014 wurde die deutsche Fotojournalistin Anja Niedringhaus in Afghanistan erschossen, im Mai 2015 wurden bei einem Attentat 14 Menschen getötet und kurz darauf Anschläge auf das Parlament in Kabul verübt. Es sind solche Ereignisse, bei denen uns die Medien an das Land am Hindukusch erinnern, das nie zur Ruhe zu kommen scheint. Trotz allem waren Sie vor kurzem selbst dort – wie sind Sie mit der (Un-)Sicherheitslage umgegangen?

Teresa Koloma Beck: Meiner Reise gingen natürlich Vorbereitungen voraus, denn Afghanistan ist kein Land, wo man sich ein Ticket kauft und hinfliegt. Mir war schnell klar, dass ich eine institutionelle Anbindung vor Ort brauchen würde. Diese fand ich schließlich in der Kooperation mit einer lokalen Nichtregierungsorganisation. Ich übernahm einen Arbeitsauftrag in einem bestehenden Projekt, der mir jedoch genug Zeit für eigene Recherchen ließ. Im Gegenzug fühlte sich die NGO für mein Sicherheitsarrangement von Beginn an verantwortlich und stellte einen Arbeitsplatz. Bei einer solchen Reise macht man sich natürlich Gedanken darüber, welchen Gefahren man ausgesetzt sein könnte und wie man sich schützen kann.

Heißt das, dass Sie ständigen Begleitschutz hatten?

Nein. Ich wurde jedoch morgens mit dem Auto abgeholt und 400 Meter weiter ins Büro gefahren. Das hat sich absurd angefühlt, ist aber gleichzeitig anders auch nicht empfehlenswert. Interessanter Weise lag hier ein großer Unterschied zu meinen bisherigen Feldforschungen in Angola und Mozambik. Dort lautete die Formel: Je länger ich an einem Ort war, desto sicherer war für mich die Lage. Ich bin als Fremde angekommen und konnte mit der Zeit den Alltag der Leute vor Ort teilen. Die Zeit brachte daher Sicherheit. In Kabul passierte das zwar auch. Gleichzeitig gab es jedoch immer auch noch eine umgekehrte Dynamik: Die selben Orte und Personen aufzusuchen und Wege wiederholt zu gehen machte mich berechen- und damit angreifbar. Denn Kidnapping ist mittlerweile ein Geschäftsmodell.

Für mich persönlich führte das dazu, dass ich in vielen Situationen überlegte: Kann ich dieser Person wirklich trauen? Ich neige dazu, in den Menschen das Positive zu sehen, doch diese permanente Vorsicht führte zwangsläufig zu einer misstrauischen Vorsicht meinen Mitmenschen gegenüber. In den meisten Fällen waren diese Sorgen unberechtigt.

Wie sind Sie vorgegangen, um mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu treten?

Im Zentrum stand das ethnographische Vorgehen: einen zu Ort verstehen, indem man selbst Teil dieses Ortes wird.  Wichtig hierfür war der tägliche Kontakt zu meinen Arbeitskollegen im Büro. Später hatte ich auch mit HochschullehrInnen und Studierenden zu tun. In den Alltagsgesprächen bekam ich viel davon mit,  wie bestimmte Ereignisse auf die Menschen wirkten. Im Rahmen dieses explorativen Forschungsaufenthalts in Kabul war ich daher in erster Linie beobachtende Teilnehmerin. Zusätzlich habe ich aber auch einige Interviews und Fokusgruppen-Diskussionen geführt.

 

Die kriegerische Situation wurde ‚veralltäglicht‘

 

Sie sind der Frage nachgegangen, wie sich ein Gewaltkonflikt auf den Alltag der Menschen auswirkt. Was genau meinen Sie damit?

Ich arbeite mit einem Alltagsbegriff, der Alltäglichkeit als Form der Erfahrung versteht. Alltag ist, wenn die Dinge so reibungslos laufen, dass wir gar nicht weiter drüber nachdenken müssen. Möglich werden solche Erfahrungen durch leibliche Gewohnheitsstrukturen, die uns in die Lage versetzen zu agieren, ohne viel darüber nachzudenken. Doch was in diesem Sinne als alltäglich erlebt wird, ist nicht überall gleich, sondern hängt ab vom historischen, kulturellen und sozialen Kontext. Meine Frage ist, wie ein Krieg wie der in Afghanistan Alltäglichkeit verändert, inwiefern die Bevölkerung lernt, damit zu leben – oder eben auch nicht.

Bedeutet das, dass die Menschen mit dem Alltag weitermachen, obwohl Krieg herrscht oder ist der Krieg zu ihrem Alltag geworden?

Ich würde sagen, dass die kriegerische Situation ‚veralltäglicht‘ wurde. Der Alltag strukturiert sich also entlang der kriegerischen Auseinandersetzungen. Manchmal kann man auch beobachten, dass Leute in einer Art Trotzhaltung an ihrem ‚friedlichen‘ Alltag festhalten. In einer früheren Forschung  in Angola etwa habe ich einen 16-jährigen Schüler getroffen, der sich in einer besonders heißen Phase des Krieges darum bemühte, einen Lehrer für ihn und seine Freunde zu organisieren. Er wollte unterrichtet werden, während die Menschen um ihn herum der existenziellen Frage nachgingen, was sie essen könnten. Man stellt sich die Frage: Sollte er in einer solchen Situation nicht andere Sorgen haben? An alltäglichen Praktiken festzuhalten ist eine Art und Weise, sich selbst davon zu überzeugen, nicht völlig ausgeliefert zu sein, sich nicht alles aus der Hand nehmen zu lassen. Es ist eine Möglichkeit, ein Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten. Deshalb ist das Festhalten am Alltag nicht nur von praktischer sondern auch von psychosozialer Relevanz. Das Opferbild, welches ‚wir hier‘ von der Bevölkerung in Kriegsgebieten vermittelt bekommen, ist vereinfacht. Es suggeriert, dass die Leute sich dauerhaft im Zustand des ‚Ausgeliefertseins’ befinden.

 

Manchmal hätte ich mir gewünscht zu verschwinden

 

Durch Ihren Aufenthalt haben Sie sich Ihr eigenes Bild machen können. Doch ist es überhaupt möglich, dass ‚wir hier‘ den Alltag mit ‚denen dort‘ teilen können?

Na klar! Das hängt von der Bereitschaft ab, sich auf das Neue einzulassen. In Afghanistan gibt es ein Thema, an dem man diese Frage wunderbar diskutieren kann: Wie ist man als Frau angezogen? Sollte man sich als westliche Frau ein Kopftuch anziehen? Wer hier das Gefühl hat: ‚Das kommt für mich überhaupt nicht in Frage‘, kann natürlich keinen Alltag teilen. Ich persönlich habe es nicht als Einschränkung empfunden, nur mit Kopftuch und langärmeligen, bis zum Boden reichenden Kleidungsstücken aus dem Haus zu gehen. Ich wollte die Situation vermeiden, dass die Leute in meinem Umfeld von meiner Kleidung – oder deren Fehlen – so abgelenkt sind, dass sie sich nicht wirklich auf das Gespräch konzentrieren können. Und ich wollte ja ins Gespräch kommen! Ich musste allerdings keinen Ganzkörperschleier tragen – auch, wenn es manchmal Situationen gab, in denen ich mir gewünscht hätte, ganz zu verschwinden.

Sind Sie trotz dieser Integrationsbemühungen nach Ihrem Aufenthalt als ‚Fremde‘ nach Hause gefahren?

Bei mir war es relativ schnell so, dass ich  von Fremden in der Landessprache angesprochen und selten als ‚Westlerin‘ wahrgenommen wurde. Ich habe mir später einen Spaß daraus gemacht, die Leute zu fragen, welcher afghanischen Ethnie ich ihrer Meinung nach angehöre. Das zeigt, dass Anpassungs- und Integrationsprozesse möglich sind. Der Abschied war schwer. In einer derart geschlossenen Gesellschaft sind die Kontakte, die man knüpft, oft intensiver als in den oft etwas oberflächlichen Alltagsinteraktionen in unserer offenen Gesellschaft hier.


Kontakt:

Teresa Koloma Beck
tkb  ( at )  cmb.hu-berlin.de