Gedächtnis und Erinnerung in Frankreich und Deutschland : interdisziplinärer Dialog zwischen Geschichtswissenschaft und Soziologie
May 28 | 18:00
Erinnerung und Gedächtnis sind paradigmatische Konzepte der Geistes‐ und Sozial‐ und auch
Kognitionswissenschaften. Mit modernen Ursprüngen in der Soziologie (Halbwachs),
Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaft und Psychologie haben sich einige Ansätze
zwischenzeitlich internationalisiert. Dazu gehören die in den späten 1970er Jahren von Pierre Nora
herausgegebenen « Lieux de mémoire » ebenso wie Gedächtniskonzepte, die inzwischen in aller
Munde sind. Das gilt etwas für das soziale, das kollektive, das kulturelle Gedächtnis.
Die Verbreitung oder der Ex‐ und Import in nationale Kontexte lässt sich hervorrangend an den
« Lieux de mémoire » illustrieren, die inzwischen, teils in deutlich veränderter Weise in
Deutschland, Italien, den Niederlanden, Russland, Luxemburg, Polen aber auch auf regionaler und
transnationaler Ebene in Gebrauch sind. Die enorme weit über die Wissenschaft hinausgehende
Popularität, sowie die spezifischen Aneignungen haben den analytischen Nutzen einiger Begriffe
stark reduziert, so dass beständig neue Taxonomien zur Diskussion gestellt werden.
Diese Tagung möchte Arten und Weisen reflektieren, mit denen Historiker und Soziologen in
Frankreich und Deutschland das Konzept der Erinnerung und des Gedächtnisses (im deutschen gibt
es zwei Worte für das französische mémoire) empirisch bearbeitet haben. Es soll darum gehen,
einen französisch‐deutschen und interdisziplinären Dialog zu führen, indem Arbeiten aus beiden
Ländern, mit ihren jeweils eigenen theoretischen Referenzen, miteinander konfrontiert werden. Wir
hoffen, dass diese französisch‐deutsche Auseinandersetzung der Geschichte und der Soziologie der
Erinnerung und des Gedächtnisses einen theoretischen Mehrwert schafft, um diese Konzepte zu
definieren.
Die Tagung wird entlang von vier thematischen Achsen organisiert sein: (1) Materielle Kultur, (2)
Körperlichkeit und Gewalt, (3) Geschlechterverhältnisse und Engagement (4) Wissenszirkulation.
Die ersten beiden Panels sollen eine zu häufig allein als Diskurs analysierte Erinnerung
hinterfragen und sowohl Materielles als auch den Körper in die Analyse einbringen und ihre Rollen
in der Herstellung einer Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sondieren. Ein
drittes Panel wird die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen und Engagement für die
Konstruktion von Erinnerung hinterfragen. In einem letzten Panel sollen die Transformation von
Theorien hinterfragt werden, wenn diese Grenzen überschreiten.
Contact
Emmanuel Droit
droit ( at ) unistra.fr
Program
28. Mai 2015 18‐20.00 Uhr (Centre Marc Bloch, 3. Stock, Georg‐Simmel‐Saal) – Eröffnungsvortrag mit simultaner Übersetzung
Prof. Dr. Dorothee Wierling (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg): Vom Überdruss am "Gedächtnis". Ein Rettungsversuch
29. mai 2015 (Centre Marc Bloch, 3. Stock, Georg‐Simmel‐Saal)
9.00‐10.40 Uhr : Panel 1 : Materielle Kultur
Moderation : Dr. Karen Akoka ‐ UPOND‐ISP
- Dr. Andreas Ludwig – Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam: Die materielle Dimension im kollektiven und individuellen Gedächtnis
- Dr. Delphine Corteel – Université de Reims‐IDHES/CMB : Wiederverwertungs‐ und Vermittlungspraktiken : Gedanken über Gedächtnis und Müll
- Dr. Selim Smaoui – Sciences‐Po Paris‐CERI/IEP Aix en Provence : Soziologie der Ausgrabungen von Massengräbern in Spanien. Beitrag zur Erinnerungssoziologie durch eine (spezifische) Distanzierung von dem Forschungsobjekt
Kommentar : Dr. Valentin Rauer ‐ Goethe Universität Frankfurt
11.00‐12.40 Panel 2 : Körper, Körperlichkeit, Gewalt
Moderation : Dr. Marielle Debos – UPOND‐ISP
- Prof. Dr. Jörg Michael Kastl – Pädagogische Hochschule Ludwigsburg : „Il faut que tu deviennes turc“ – Körper, soziales Gedächtnis und politische Gewalt
- Dr. Teresa Koloma Beck – Centre Marc Bloch: Zum Leibgedächtnis bewaffneter Konflikte
- Dr. Mathias Delori – CNRS – Centre Emile Durkheim : Gewalt westlicher Armeen verkörpern. Zwischen technischer rationalität und historischem Ethos des Nahkampfes.
Kommentar : Dr. Christian Gudehus – Ruhr Universität
14.00‐15.40 : Panel 3 : Engagement, Widerständigkeit und Geschlechterverhältnisse
Moderation : Alexandra Oeser UPOND – ISP
- Dr. Fanny Gallot – Université Paris‐Est, Créteil : Im Arbeitsprodukt verkörperte Fabrik‐Erinnerung ? Der Fall der Chantelle‐ und Moulinex Arbeiterinnen Anfang des 21. Jahrhunderts.
- Dr. Nina Leonhard– Führungsakademie der Bundeswehr: (Re)Konfigurationen des Soldatischen unter postheroischen Vorzeichen: Der Veteran als (neuer) Gedächtnistypus
- Dr. Silja Behre – Universität Bielefeld: Wie erinnert eine soziale Bewegung? Erinnerungskämpfe um „1968“
Kommentar : Prof. Dr. Alf Lüdtke – Universität Erfurt
16.00‐ 17.40 : Panel 4 : Wissenszirkulation Frankreich‐Deutschland‐Italien
Moderation : Prof. Dr. Marie Claire Lavabre – CNRS, ISP
- Prof. Dr. Paolo Jedlowski‐ Università della Calabria : Kino und öffentliche Erinnerung in Italien
- PD Dr. Olivier Dimbath – Universität Augsburg : Konturen einer Soziologie sozialer Gedächtnisse
- Prof. Dr. Alon Confino – University of Virginia : Die Küste von Tantura : Geschichte und Erinnerung von 1948 in Israel.
Kommentar : Prof. Dr. Michael Werner EHESS Paris
18.00‐18.30 Schlussvortrag : Prof. Dr. Jacques Revel‐EHESS Paris
Location
Georg-Simmel-SaalFriedrichstraße 191
10117
Berlin
Deutschland