Die Musik der Gesten
31. März | 14:00
Gesten des Ausdrucks, der Erzeugung oder der Rezeption von Musik fanden bisher nur wenig Aufmerksamkeit im wissenschaftlichen Diskurs; und das, obwohl sie ohne Zweifel im Zentrum des musikalischen Geschehens sowie damit verbundener Praktiken des Notierens, Spielens und Wahrnehmens stehen.
Doch was genau tun Gesten eigentlich? Sind sie Übermittler und Ausdruck einer in ihnen sich artikulierenden musikalischen Bewegung, Manifestation eines über sie hinausreichenden „Wesens“ der Musik oder eines musikalischen Werkes? Sind sie eigenständige Agenten der Musik, die durch physiologische, emotionale und rationale Prozesse ein spezifisches kreatives Potential aktivieren, das nur ihnen eigen ist? Oder setzen Gesten dem kreativen Prozess vielmehr Grenzen, indem sie musizierende Körper den Normen historischer, sozialer und politischer Kontexte unterwerfen – und mit ihnen die Musik?
Der Workshop möchte diese Fragen verfolgen, indem er seinen Fokus auf einen bestimmten Ausschnitt aus dem weiten und bis jetzt weitgehend unerforschten Feld richtet: auf die Rolle musikalischer Gesten in der zeitgenössischen Musik. Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts haben oft bewusst ihre eigenen Körper, die der Interpreten oder des Publikums als Medium der Musik eingesetzt. Doch begegnen Künstler wie Mauricio Kagel, Helmut Lachenmann, Dieter Schnebel oder Jörg Widmann dem Körper in höchst unterschiedlicher Weise – das Spektrum reicht von Affirmation bis zu kritischer Distanz.
Ort : Humboldt-Universität zu Berlin
Kontakt
Patrice Veit
patriceveit ( at ) web.de
Programm
Donnerstag, 31. März 2016
14.00 Uhr Begrüßung
14.15 Uhr Gunter Gebauer (Freie Universität Berlin)
Gesten als Zeichen und Aufführung
15.00 Uhr Christian Grüny (Universität Witten/Herdecke)
Artikulation und Resonanz. Musik als gestische Form
15.45 Uhr Kaffeepause
16.15 Uhr Nicolas Donin (IRCAM, Paris)
Präsentation des Forschungsprojekts GEMME (Geste musical: modèles et experiences)
17.00 Uhr Arne Stollberg / Jana Weißenfeld (Humboldt-Universität zu Berlin)
Präsentation des Forschungsprojekts „Hörbare Gebärden – Der Körper in der Musik“
19.00 Uhr
Medientheater des Instituts für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Georgenstraße 47, 10117 Berlin
Performance des Ensembles „Maulwerker“ mit einer Einführung von Ariane Jeßulat (Universität der Künste Berlin)
Programm
Dieter Schnebel Redeübungen für Hand und Mund
aus Laut-Gesten-Laute (1981-85)
Ensemble
Christian Kesten zunge lösen (1999/2002)
Ensemble
Dieter Schnebel Bagatellen [Mühe. Spiel. Bindungen] (1986)
Ariane Jeßulat, Klavier
Christian Kesten G is for Guam Flying Fox (Pteropus tokudae). Über die Lebensweise des Guam-Flughunds ist nichts bekannt (2012)
Christian Kesten
Dieter Schnebel Numbers (1992)
Ariane Jeßulat
Dieter Schnebel Poem für 1-3 Finger aus Zeichen-Sprache (1986-90)
Henrik Kairies
Dieter Schnebel Poem für 1 Springer aus Zeichen-Sprache (1986-90)
Christian Kesten
Dieter Schnebel Stumme Schreie (2008)
Katarina Rasinski
MAULWERKER
Ariane Jeßulat | Henrik Kairies | Christian Kesten | Katarina Rasinski
Freitag, 1. April 2016
10.00 Uhr Anne-Sylvie Barthel-Calvet (Université de Lorraine, Nancy; IRCAM, Paris)
Can musical gesture be theorized? A study of composers’ writings and music criticism in the second half of 20th century
10.45 Uhr Florian Henri Besthorn (Basel)
Überraschend „theatral“. Jörg Widmanns jüngste Orchesterwerke
11.30 Uhr Kaffeepause
11.45 Uhr Leo Dick (Bern)
„Dem Volk aufs Maul schauen“. Der spirituelle Gestus in Dieter Schnebels szenischen Vokalwerken der 60er und 70er Jahre
12.30 Uhr Mittagspause
14.30 Uhr François-Xavier Féron (CNRS-LaBRI/SCRIME, Bordeaux; IRCAM, Paris)
Analyzing extended techniques in terms of instrumental gesture: An acoustics-based typology inspired by Lachenmann’s Pression
15.15 Uhr Stephanie Schroedter (Freie Universität Berlin)
Zwischen hör- und sichtbaren Gesten. Körperliche Dimensionen zeitgenössischer Musik am Beispiel von Xavier Le Roys (More) Movements für Lachenmann
16.00 Uhr Kaffeepause
16.30 Uhr Körper und Gesten im zeitgenössischen Musiktheater
Podiumsdiskussion mit Mark Andre (Berlin/Dresden), Patrick Hahn (Staatsoper Stuttgart), Mara Kurotschka (Berlin), Nicolas Donin, Arne Stollberg
Moderation: Friederike Wissmann (Berlin/Bonn) / Karsten Lichau (Centre Marc Bloch)