Buchpräsentation

Violaine Baraduc: Tout les oblige à mourir. L’infanticide génocidaire au Rwanda en 1994

03. Oktober | 18:00

Zum Anlass des 30-jährigen Gedenkens an den Völkermord an den Tutsi in Ruanda lädt das Centre Marc Bloch die Anthropologin Violaine Baraduc zu einer zweifachen Präsentation ihrer Arbeit ein. Zunächst wird am 29.5.2024 im Kino Sputnik der Film À mots couverts (Shades of True) gezeigt, den sie 2014 gemeinsam mit Alexandre Westphal gedreht hat. Dann folgt am 30.5. eine Präsentation/Diskussion über ihr soeben erschienenes Buch Tout les oblige à mourir. L'infanticide génocidaire au Rwanda en 1994 (Éditions du CNRS, 2024).

Violaine Baraduc ist Doktorin der Sozialanthropologie und visuellen Anthropologie. Ihre bisherigen Arbeiten befassten sich mit der Beteiligung von Frauen am Völkermord an den Tutsi in Ruanda und mit den Bedingungen für eine Erinnerung an den Völkermord in Gefängnissen. Im Laufe ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit Themen beschäftigt, die mit den Fragen der Gewalt gegen Frauen und der Erinnerung an den Völkermord zusammenhängen, darunter: Die Verrechtlichung von Frauen nach 1994; die Politik des Geständnisses und die damit verbundenen Verfahrensweise in der Phase vor und nach dem Gacaca-Prozess; der genozidale Kindermord; das ruandische Gefängnissystem. Im Rahmen ihrer Dissertation hat sie außerdem einen Dokumentarfilm über eine Gruppe von inhaftierten Völkermörderinnen gedreht, À mots couverts (gemeinsam mit Alexandre Westphal, veröffentlicht 2014). Derzeit arbeitet sie zusammen mit Alexandre Westphal an einem neuen Film mit dem Arbeitstitel Les Voisines (Die Nachbarinnen). Thema ist die ruandische Gesellschaft rund 30 Jahre nach dem Genozid, in der langjährig inhaftierte Völkermörder/innen nach und nach wieder auf freien Fuß gesetzt und zur Wiedereingliederung in die Gemeinschaft aufgefordert werden.

Am 30. Mai 2024: Vorstellung und Diskussion des Buches von Violaine Baraduc „Tout les oblige à mourir. L'infanticide génocidaire au Rwanda en 1994“ (Éditions du CNRS, 2024).

1994 verschonte der Völkermord an den Tutsi in Ruanda selbst die intimsten Beziehungen nicht. In einigen „gemischten“ Familien (in denen es zu einer Ehe zwischen Hutu und Tutsi gekommen war) attackierten Großeltern, Onkel, Tanten, Cousins, Ehemänner und sogar Väter oder Mütter ihre Verwandten. So auch Béata Nyirankoko und Patricie Mukamana. Nach wochenlangen Massakern im ganzen Land entschieden sich diese beiden Hutu-Bäuerinnen dazu, ihre Kinder zu töten, die sie mit ihren Tutsi-Männern gezeugt hatten.

Ausgehend von Interviews, Gerichtsarchiven und Beobachtungen lässt diese Untersuchung die Stimmen der beiden Mütter und verschiedener Familienmitglieder, Angeklagte oder Überlebende, hörbar werden. Sie fragt nach der Rolle der Frauen und der Geschlechterbeziehungen bei den Massenmorden und enthüllt einige der wichtigsten Mechanismen der völligen Umkehrung der emotionalen und sozialen Bindungen, die während eines vom Staat angeordneten, aber von der Bevölkerung in die Tat umgesetzten Völkermordes am Werk waren.

Der Buchvorstellung durch Violaine Baraduc folgt ein Gespräch mit Aurélia Kalisky (CMB) über folgende Themen:
- Die Frage nach der Natur der genozidalen Gewalt aus der Perspektive der Anthropologie, die anhand des von Violaine Baraduc geprägten Begriffs der „genozidalen Ordnung“ hinterfragt wird.
- Die Familie als Beobachtungspunkt des Zerfalls der emotionalen und sozialen Beziehungen während des an den Tutsi begangenen Völkermords. Die Untersuchung des Angriffs familiärer Beziehungen und jeder Form von innerfamiliärer Solidarität als Kennzeichen der genozidalen Gewalt.
- Die Analyse des genozidalen Kindermords als Gegenstand einer ethischen Reflexion über die Erfahrung extremer Formen politischer Gewalt.
- Die Frage der Ressourcen als zentraler Punkt, um die Beteiligung am Völkermord der ruandischen Bauern und Bäuerinnen (hier im Lichte der Kategorie Gender) nachzuvollziehen.
- Reflexive Herangehensweisen an die Forschung und ans Schreiben: Moralisierung des Subjekts und Neupositionierung des Forschers/der Forscherin; Quellen der Forschung in den Sozialwissenschaften und ihre Grenzen.

Das Buch:

Auf der Verlagswebseite des CNRS: https://www.cnrseditions.fr/catalogue/anthropologie-et-mondes-contemporains/tout-les-oblige-a-mourir/

Presse und Interviews (auf Französisch):

Kontakt

Aurélia Kalisky
aureliakalisky  ( at )  gmail.com

Ort

Germaine-Tillion-Saal
Centre Marc Bloch
Friedrichstrasse 191
10117 Berlin