VERSCHOBEN - Sommerschule „Rückkehr des Lesers?“
11. September | 09:30
Organisation Jan Knobloch (Uni Kassel) und Dr. Lena Seauve (HU Berlin)
Kontakt: lena.seauve@hu-berlin.de; jknobloch@uni-kassel.de
Online-Anmeldung für den Vortrag von Prof. Dr. Françoise Lavocat (Université Paris III Sorbonne) ist möglich.
The difference between fact and fiction in the light of cognitive science and neuroscience, and the challenge of new media and new genres
Uhrzeit: 11.Sep.2020 09:15 AM Amsterdam, Berlin, Rom, Stockholm, Wien
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Sommerschule am 11.09.2020 an der Humboldt-Universität zu Berlin
Rückkehr des Lesers? Zur Wiederentdeckung einer Kategorie in der Literaturwissenschaft
Nachdem es in den 1960er Jahren zu einer ersten Phase literaturwissenschaftlicher Theoriebildung kam, die den Leser ins Zentrum stellte (u.a. Jauss, Iser, Warning, Riffaterre), schienen leserbezogene Ansätze in der Folge von Theorien wie der Dekonstruktion oder der Diskursanalyse überholt. In den letzten Jahren aber rückt die Kategorie des Lesers wieder verstärkt in den Blick der Literaturwissenschaft: Sei es in historisch-systematisierender Absicht, sei es im Hinblick auf Theorien ästhetischer Erfahrung oder im Umkreis der Emotionsforschung, die sich nicht nur für die Darstellung von Emotionen in Texten interessiert, sondern auch für Emotionen gegenüber Texten, wie sie beim Lesen entstehen. Neben der qualitativen, häufig kognitionswissenschaftlich geprägten Lese(r)forschung, die sich der Methoden der Psychologie und der Neurowissenschaften bedient, gewinnen dabei auch quantitativ-empirische Ansätze an Einfluss.
Die Sommerschule, nicht zuletzt im Gespräch zwischen den Philologien, weitere Akzente setzen. Das Expertenteam besteht aus einschlägigen Forscher*innen aus Germanistik und Romanistik gleichermaßen (PD Dr. Katja Mellmann, Dr. Marcus Willand, Prof. Dr. Albrecht Buschmann, Prof. Dr. Françoise Lavocat).
Das theoretische Interesse am Leser geht mit einer komplexen Veränderung von Lesepraktiken einher. Nicht nur steht die über 5000 Jahre alte Kulturtechnik des Lesens heute mit der Digitalisierung vor einem der größten und tiefgreifendsten Umbrüche in ihrer Geschichte. Auch die Globalisierung des Buchmarktes sowie die sich verschärfenden Medienkonkurrenzen (Stichwort: Serien) wirken sich auf das Leseverhalten aus. Und während etwa in den Literaturen der Romania neue Herausforderungen für den Leser an die Stelle der alten treten (statt der formal-ästhetischen Experimente, die noch den Nouveau Roman prägten, sind verstärkt inhaltliche, politische und moralisch-ethische Grenzüberschreitungen zu verzeichnen), formiert sich gerade unter Lesern auch eine gegenläufige Bewegung. Kontrovers diskutiert werden die neu gezogenen Grenzen des Sagbaren derzeit etwa am Beispiel der sogenannten „Sensitivity Readers“: von Verlagen eingesetzten LektorInnen, die Romane vor der Publikation auf identitätspolitische Verstöße prüfen.
In diesem Spannungsfeld zwischen theoretischem Interesse, kultureller Relevanz und Medienwandel verortet die Sommerschule die Frage nach den Lesenden. Abgezielt wird darauf, die romanistische sowie germanistische Lese(r)forschung in ihrem gegenwärtigen Stand einzufangen und vertiefend zu profilieren. Einerseits gilt es, die Möglichkeiten und Grenzen von Lesermodellen auszuloten, besonders im Hinblick auf die Emotionsforschung. Andererseits wäre der Leserbegriff auf seine pragmatischen Anwendungsmöglichkeiten hin zu präzisieren, und zwar gerade im Zusammenspiel von theoretischen Modellen auf der einen und einer an Texten orientierten Perspektive auf der anderen Seite. Wenn die in diesem Feld aktuell vorliegenden Projekte auch divers sind, so eint sie doch die Einsicht, dass die Limitierung des Aufgabengebiets der Literaturwissenschaft auf den Text selbst heute nicht mehr so dogmatisch vertreten werden muss wie es die Strukturalisten und ihre Nachfolger vorsahen.
Vortrag Prof. Dr. Françoise Lavocat (Université Paris III Sorbonne) im Centre Marc Bloch, 11.09.2020, 9h30 (in englischer Sprache via Zoom)
Françoise Lavocat est Professeur de littérature générale et comparée, Directrice du CERC, Présidente de la Société française de littérature générale et comparée (SFLGC). Ses thèmes de recherche sont entre autres : Les théories de la fiction ; Allégorie et fiction; fait et fiction, La théorie des mondes possibles, Les théories de l'interprétation
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