Dr. Dominik Rigoll | Assoziierter Forscher
Ehemaliges Mitglied
Mutterinstitut
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Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
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Position
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Centre Marc Bloch, Raum 20, Friedrichstraße 191, 10117 Berlin
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Fachbereich
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Geschichte
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former
Abteilung
:
Historisches Institut
Stipendium
Stipendien/Tätigkeiten am CMB, Wissenschaftlicher Koordinator 15.2.2009-30.9.2009., Kurzzeitstipendiat 1.10.2009-31.12.2009
Forschungsthema
Menschenrechte, Kommunismus, Nationalsozialismus, Innere Sicherheit, deutsch-deutsche Zeitgeschichte, deutsch-französische Geschichte, Archiv- und Informationspolitik
Titel der Dissertation
Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur ExtremistenabwehrInstitution der Dissertation
Betreuer
Projekte
Vor der Versöhnung. Victor Basch, Friedrich Grimm, Klara Marie Faßbinder, Pierre Kaldor: deutsch-französische Annäherungen in einem Jahrhundert der Extreme
Versteht man "deutsch-französische Annäherung" wertfrei als politische Praxis, die unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen erdacht und umgesetzt werden kann, fällt auf, wie widersprüchlich ihre Formen und Inhalte stets waren. Vor 1914 plädierten neben den Sozialisten lediglich pazifistische Kleinstgruppen für ein Ende der "Erbfeindschaft", während das Gros der Eliten im Kaiserreich und in der Dritten Republik auf Konfrontationskurs blieb. Nach dem Ersten Weltkrieg knüpften radikale Pazifisten wie Marc Sangnier an die pazifistisch-sozialistischen Vorkriegsinitiativen an. Zugleich bemühten sich Realpolitiker wie Stresemann und Briand, den deutsch-französischen Kalten Krieg nach Versailles durch kleine Kompromisse und die Aufnahme des Reiches in den Völkerbund zu entspannen. Konfrontiert waren sie dabei nicht mehr nur mit Nationalisten wie Charles Maurras, sondern auch mit zwei vollkommen neuen Gegenmodellen: Dem leninistischen Entwurf zufolge konnte nur eine Weltrevolution den Frieden sichern; Faschisten machten überall in Europa die Befriedung des Kontinents vom Sieg autoritär-rassistischer Ordnungsvorstellungen abhängig. Nach der Niederlage des Dritten Reiches und der Kollaborationsregime 1945 fand erneut ein deutsch-französisches rapprochement statt - nun unter liberalen und kommunistischen Vorzeichen. Dabei nahmen beide Seiten für sich in Anspruch, die einzig folgerichtigen "Lehren aus der Vergangenheit" zu ziehen. Was dieser Lesart widersprach, wurde vor allem in Osteuropa, oft aber auch im Westen mit gesellschaftlichen Tabus belegt, die erst seit den siebziger Jahren allmählich aufzubrechen begannen. Seit dem Ende der Sowjetunion hat sich die das Reden von der westdeutsch-französischen "Versöhnung" zum dominanten Narrativ entwickelt. Gleichwohl zeigen sozial- und politikwissenschaftliche Studien, dass links- wie rechtsradikale Annäherungspolitiken weiterhin existieren.
Zwar nehmen Historiker seit geraumer Zeit die Pazifisten und Europa-Aktivisten der Zwischen- und Nachkriegszeit ebenso wie die dérive fasciste nach 1933/40 oder die ostdeutsch-französischen Beziehungen in den Blick. Außer in Gesamtdarstellungen werden diese Themenkomplexe jedoch zumeist getrennt voneinander untersucht. Die meisten Studien behandeln eine einzige politische Richtung und richten ihren Fokus entweder auf die Zeit vor 1945 oder auf die Zeit danach. Die wenigen Arbeiten, die nach inter-ideologischen Konflikten und Verflechtungen im Bereich der Annäherungspolitik fragen, heben in der Regel auf den Gegensatz "Demokratie" vs. "Totalitarismus" ab, was das Problem stark vereinfacht.
Mein Forschungsvorhaben setzt an diesem Punkt an. Es hat die ideologische Vielfalt und die politische Ambivalenz deutsch-französischer Annäherungspolitik im 19. und 20 Jahrhundert zum Gegenstand. Dabei nimmt es nicht nur die Konkurrenz und (seltenen) Koalitionen zwischen antagonistischen Akteuren der Annäherung in den Blick, sondern auch die Art und Weise, wie die Zeitgeschichtsschreibung in der Bundesrepublik, in Frankreich und der DDR mit dieser politischen Gemengelage umging: Inwiefern konkurrierten im "Zeitalter der Extreme" sozialistische, katholisch-pazifistische, christdemokratische, faschistische und kommunistische Formen der deutsch-französischen Annäherungspolitik miteinander? Und wie spiegelte sich diese Konkurrenz in rivalisierenden "Meistererzählungen" wieder, die sich nicht selten in ideologischer Hinsicht viel stärker unterscheiden als aufgrund ihrer nationalen Herkunft?
Epochenübergreifende Fragestellungen wie diese am Beispiel ganzer Organisationen oder Institutionen beantworten zu wollen, erscheint wenig sinnvoll, da diese nur selten die Brüche von 1918, 1933/40, 1944/45 und 1990 überlebten. Aus diesem Grund nimmt die Studie das grenzüberschreitende Engagement von fünf Einzelpersonen in den Blick - drei Franzosen und zwei Deutsche, die jeweils für sehr unterschiedliche Formen und Inhalte deutsch-französischer Annäherung seit dem 19. Jahrhundert stehen: der Philosoph und Menschenrechts-Aktivist Victor Basch (1863-1944), der Industriellen- und NS-Anwalt Friedrich Grimm (1888-1959), die Historikerin und katholische Pazifistin Klara Marie Faßbinder (1890-1974), der Historiker und Politikberater Joseph Rovan (1918-2006) sowie der kommunistische Strafverteidiger Pierre Kaldor (1912-2010).
Alle fünf sind Persönlichkeiten "aus der zweiten Reihe", über die jedoch eine zum Teil sehr umfangreiche archivarische und erinnerungspolitische Dokumentation existiert. Ohne repräsentativ sein zu müssen, stehen sie doch idealtypisch für jeweils eines der fünf politischen Banner, unter denen deutsch-französische Annäherung seit 1870/71 am häufigsten praktiziert wurde: Basch für demokratischen Sozialismus, Faßbinder für katholischen Pazifismus, Rovan für christlich-demokratische Realpolitik, Grimm für den völkischen Europagedanken und Kaldor für den marxistisch-leninistischen Internationalismus. Mit Max Weber soll "Idealtyp" freilich nicht als "Hypothese" verstanden werden, sondern lediglich "der Hypothesenbildung die Richtung weisen". So wirkt der Fokus auf diese fünf Einzelpersonen wie ein Brennglas, in dem sich die Ambivalenzen der deutsch-französischen Beziehungen seit dem 19. Jahrhundert zwar nicht erschöpfend behandeln, aber doch beispielhaft illustrieren - und nicht zuletzt: erzählen - lassen.
Collection: Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts (Hg. von Norbert Frei) Bandnummer: 13
ISBN: 978-3-8353-1076-6
Die Geschichte der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« in ungewohntem Licht.
Die Geschichte der »inneren Sicherheit« beginnt nicht erst in den siebziger Jahren mit dem Terrorismus der RAF und dem »langen Marsch durch die Institutionen«. Wer die Problematik der »streitbaren Demokratie« und der »Extremistenabwehr« verstehen will, muss den Bogen viel weiter spannen: von den rund 200 000 Berufsverboten, die im Zuge der Entnazifizierung gegen NS-Funktionäre und Militärs ausgesprochen wurden, über das KPD-Verbot von 1956 und die 125 000 politischen Strafverfahren der Adenauer-Ära bis zum Radikalenbeschluss von 1972 und zum Oktoberfest-Attentat 1980.
Dominik Rigoll interessiert sich nicht nur für die Genese des Konzepts der »streitbaren Demokratie« und für die Erfahrungshorizonte der daran mitwirkenden Politiker und Juristen, sondern auch für die konkrete Behördenpraxis und das Selbstverständnis der vom Staatsschutz betroffenen Personen und Organisationen. Er legt damit die erste quellennahe Untersuchung zu diesem Themenkomplex vor - und lässt die Geschichte der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung« in bisweilen ungewohntem Licht erscheinen.
»Dominik Rigoll hat eine ungemein anregende Archäologie der streitbaren Demokratie vorgelegt, die durch ihre stupende Gelehrsamkeit besticht.«
Paul Nolte
Dominik Rigoll, geb. 1975, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena und assoziiert am Centre Marc Bloch in Berlin. Er lehrt und forscht zu Themen der deutschen und der westeuropäischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert.