Fonds für Provenienzforschung: Interview mit Souleymane Bachir Diagne, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats
05. Februar
Am 19. Januar wurde am Centre Marc Bloch der deutsch-französische Fond für Provenienzforschung offiziell lanciert und die erste Ausschreibung veröffentlicht. Bis Ende April können Forschungsteams ihr Projekt einreichen und sich auf eine Förderung bewerben. Der Philosoph Souleymane Bachir Diagne sitzt dem wissenschaftlichen Beirat vor, der die Einreichungen auswerten wird.
Anlässlich der Auftaktveranstaltung führten wir mit ihm ein Gespräch über den Beitrag des Fonds zur internationalen Provenienzforschung, die Arbeit des wissenschaftlichen Beirats und seinen persönlichen Bezug zum Projekt.
Warum ist es wichtig, Projekte zur Erforschung der Herkunft von Kulturgegenständen zu finanzieren?
Es ist wichtig, Provenienzforschung zu betreiben, um nicht der einfachen Annahme zu verfallen, dass jeder Gegenstand, der sich heute in einem westlichen Museum befindet, den Eigentümern mit gewaltsamen und illegalen Mitteln entrissen wurde. Natürlich gibt es Gegenstände, von denen wir genau wissen, dass sie im Kontext des Kolonialismus durch mehr oder weniger direkte und in jedem Fall symbolische Gewalt erlangt wurden. Andere Objekte wurden aber von ihren neuen Besitzern rechtmäßig erworben. Daher ist es sehr wichtig bei diesem Thema, den Gedanken der Gerechtigkeit zu betonen. Die Restitution ist natürlich ein Akt der Gerechtigkeit, aber festzustellen, dass Gegenstände rechtmäßig dort sind, wo sie sich befinden, bedeutet auch, Gerechtigkeit für diejenigen, die diese Kulturgüter durch völlig reguläre Transaktionen erworben haben.
Welche Bedeutung hat diese Forschung für die Länder und Menschen in Subsahara-Afrika?
Sie ist auf verschiedene Weise bedeutend. Es gibt beispielsweise Länder, in denen diese Artefakte schlicht fehlen, weil sie wichtige gesellschaftliche Funktionen innehatten. Hier in Deutschland erinnert man sich an die symbolische Szene, als der Sultan von Bamun sich auf den Thron seiner Vorfahren setzte, der sich in einem deutschen Museum befand. Dieser Thron sollte wahrscheinlich nach Kamerun zurückzukehren. Darüber hinaus müssen afrikanische Länder wie alle Länder die Möglichkeit haben eine museale Infrastruktur aufzubauen, um ihr eigenes Erbe auszustellen und es sich so anzueignen und wieder zu entdecken. Und sie selber müssen es auch denjenigen zeigen können, die ihre Länder besuchen. Deswegen müssen diese symbolisch bedeutsamen Objekte wieder in den afrikanischen Ländern ihren Platz finden. Wenn man heute das westafrikanische Kulturerbe kennenlernen möchte, geht man am besten ins Musée du Quai Branly.
Welchen Beitrag wird der Deutsch-Französische Fonds leisten?
Ziel des deutsch-französischen Fonds ist es, die notwendigen Ressourcen für die Durchführung der Forschung bereitzustellen. Die Mittel stammen zu gleichen Teilen aus den beiden Ländern. Für die kommenden drei Jahre wird eine jährliche Summe von 720.000 € bereitgestellt werden. Es handelt sich um ein sehr wichtiges Unterfangen, weil Frankreich und Deutschland auf diese Weise einen Prozesses der Restitution von Artefakten, die dem afrikanischen Kontinent entrissen wurden, vorantreiben.
Wozu kann das Wissen genutzt werden, das die Provenienzforschung generiert?
Die Ergebnisse haben natürlich einen akademischen Wert und werden für weitere Forschung veröffentlicht. Das ist eine Möglichkeit, die Beziehung zwischen Europa und Afrika und die Bedeutung der kolonialen Vergangenheit zu dokumentieren. Im wissenschaftlichen Beirat wurde genau das diskutiert. Es ist wichtig ein besonderes Augenmerk auf die Veröffentlichung zu legen, weil eine breite Öffentlichkeit davon erfahren muss. Es ist von entscheidender Bedeutung, über die Art der Beziehungen zu informieren, die dazu geführt haben, dass diese Objekte dort gelandet sind, wo sie jetzt sind. Das gilt auch für die Beziehungen, die diese Objekte heute und in Zukunft schaffen. Die Frage der Restitution war lange Zeit eine rein institutionelle Frage. Erst heute hat sich eine echte öffentliche Meinung zu diesem Thema entwickelt. Eine solche öffentliche Debatte sollte möglichst fundiert geführt werden, und aus diesem Grund bestehen wir auf die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse einerseits und der Datengrundlagen andererseits.
Die Provenienzforschung wird zunehmend zu einer politischen Priorität der Regierungen in Europa. Wie passt dieser deutsch-französische Fonds in diese Entwicklung?
Provenienzforschung ist für Frankreich und Deutschland wichtig, weil sie zum allgemeinen Vorhaben beiträgt, die eigene koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten. Sich mit der kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen, bedeutet auch die Frage nach der Herkunft dieser Artefakte zu stellen. Es gab bereits symbolisch sehr eindrückliche Rückgaben der beiden Länder. Frankreich hat zum Beispiel 26 Objekte an Benin zurückgegeben, die aus dem Palast des letzten Königs Béhanzin von Dahomey geplündert worden waren. Deutschland wiederum hat in einer absolut spektakulären Geste zwanzig Bronzen aus Benin zurückgegeben. Bei diesen Kulturobjekten war die Herkunft klar. Man weiß genau, dass es sich um eine britische koloniale Militärexpedition im Jahr 1897 handelt.
Und wie wird bei Gegenständen verfahren, deren Herkunft unklar ist?
Woher stammen sie? Wie wurden sie erworben? Diese Fragen sind von politischer Bedeutung, denn Frankreich und Deutschland haben sich dem Ziel verpflichtet, dass Afrika seine Kunstschätze zurückerhält. Eine Restitution, die nicht einfach bedeutet, ein Museum A in Europa zu leeren und zu versuchen ein Museum B in Afrika zu füllen. Diese Objekte - das ist die philosophische Position, die ich vertrete - sollen vereinen, eine Verbindung zwischen Nord und Süd herstellen, Symbole für den Aufbau neuer Partnerschaften sein.
Wie kann das in der Praxis aussehen?
Als beispielsweise die deutsche Außenministerin mit diesen Gegenständen nach Nigeria reiste, ging es nicht nur darum, sie an ihren Platz zurückzubringen. Es ging auch darum, über eine Partnerschaft nachzudenken. Es werden neue Museen gebaut und Beziehungen zwischen Museen etabliert. Diese Objekte haben also heute die politische Bedeutung neue Beziehungen zu Afrika zu knüpfen, einem Kontinent, der einen Austausch auf Augenhöhe fordert. Die Rückgabe der Kunstgegenstände muss als Symbol für die Entwicklung dieser neuen Partnerschaften dienen, die Europa mit Afrika jenseits der kolonialen Streitigkeiten aufbauen will.
Lassen Sie uns über die Funktionsweise dieses Fonds sprechen. Im wissenschaftlichen Beirat sind sowohl wissenschaftliche als auch kulturelle Einrichtungen vertreten. Wie wurde der wissenschaftliche Beirat zusammengestellt und welche Rolle wird er in Zukunft spielen?
Es gibt einen Ausschuss der Träger des Fonds, in dem die verschiedenen deutschen und französischen Ministerien vertreten sind. Dieses Steering Committee hat sich an das Centre Marc Bloch gewandt, um eine inhaltlich präzise wissenschaftliche Leitlinie zu definieren. Dementsprechend wurde eine Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Verantwortliche von Museen in Frankreich, Deutschland und Subsahara-Afrika ausgewählt.
Warum halten Sie diesen interdisziplinären Ansatz für wichtig? Und wie glauben Sie mit Ihrer persönlichen akademischen Perspektive beitragen zu können?
Als Philosoph habe ich mich vornehmlich mit der Philosophie der afrikanischen Künste beschäftigt. Es gibt aber auch Disziplinen wie Ethnologie, Anthropologie und Kunstgeschichte, die in diesem Bereich etwas zu sagen haben. Diese verschiedenen Disziplinen bilden die sogenannten Afrikastudien. Sie decken alle Aspekte der philosophischen, kosmologischen und anthropologischen Bedeutung der afrikanischen Exponate ab, die in westlichen Museen lagern. Es ist klar, dass auch die Museologie darin vertreten sein muss. Daher sind wir der Ansicht, dass das Kulturobjekt selbst die Zusammenarbeit mehrerer geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen erfordert.
Sie sind Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates. Warum war es für Sie wichtig, Teil dieses Projekts zu sein und diese Funktion einzunehmen?
In meinen philosophischen Forschungen habe ich ein Buch geschrieben, das sich mit der afrikanischen Kunst und ihrer philosophischen Bedeutung befasst. Ich widmete dieses Buch Senghors Philosophie der afrikanischen Kunst, was dazu führte, dass ich einer der Begleiter, einer der Freunde von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr war, als sie den Bericht zur Restitution verfassten, der ihnen vom französischen Präsidenten aufgetragen worden war. Diese Verbindung zum Thema der Restitution führte dazu, dass auch meine eigene Arbeit der Reflexion über die Philosophie der afrikanischen Künste neue Wege beschritt. Da wir drei afrikanische Mitglieder im wissenschaftlichen Beirat sind, musste sich einer von uns dreien zur Verfügung stellen. Da meine Kollegen mir zutrauten, den Vorsitz zu übernehmen, wollte ich mich dieser Verantwortung nicht entziehen.
Zur Ausschreibung und für weitere Informationen zum Fond:
https://cmb.hu-berlin.de/en/research/translate-to-english-fonds-de-provenance