Wissenschaften im Wandel und disziplinäre Konstruktionen

Die in dieser Forschungsachse aktiven Forschungsgruppen interessieren sich in erster Linie für die Entstehung von Wissensformen aus bestimmten Praktiken heraus. Inwiefern und auf welche Art und Weise führen künstlerische, poetische und philosophische Untersuchungen von Kunstwerken zur Entstehung eines ästhetischen und historischen Diskurses über Kunst? Inwiefern zeigt die mit dem wachsenden Interesse für Empirie und der Überwindung der Rhetorik einhergehende Ausbildung eines historischen Diskurses als Wissenschaft grundlegende methodische Probleme auf, die sich den Geistes- und Sozialwissenschaften stellen? Inwiefern stellt die Auflösung „klassischer“ Grundsätze der europäischen Musik vor dem Hintergrund des Aufkommens der „world music“ die Analyse klassischer Muster der musikalischen Praxis infrage, insbesondere auf der Grundlage breit angelegter anthropologischer Untersuchungen?

In all diesen Feldern ist die soziale und gesellschaftliche Dimension auf unterschiedliche Art und Weise stets präsent. Die Ästhetik und die Kunstgeschichte, deren Entstehung als wissenschaftliche Disziplinen sich im Deutschland des 18. Jahrhunderts abzeichnet, sind auf zweifache Weise von den sozialen und institutionellen Bedingungen der Gesellschaft, in der sie sich entfalten, geprägt: Sie sind einerseits vom „Geschmack“ der Zeit und andererseits von der Organisation des Wissenschaftsbetriebs abhängig. Die einzelne historische Erfahrung muss in einen breiteren Rahmen eingefügt, zu einer Erzählung geformt oder von zwangsläufig polemischen Standpunkten aus rekonstruiert werden. Der Historiker, der diese Erfahrung wissenschaftlich verarbeitet, trifft notwendigerweise und bewusst bestimmte Entscheidungen und setzt Prioritäten, die von der Zeit und der Gesellschaft bedingt sind, in der er lebt. Die Entwicklung und Verbreitung der „world music“ ermöglicht, die Entstehung neuer ästhetischer Gemeinschaften zu beobachten, und zeigt, wie neue Musikformen auch (neue) Gesellschaften hervorbringen.

Anhand dieser Schwerpunkte wird die Konstruktion der Kategorien und Disziplinen ausgeleuchtet, die die Untersuchung sozialer und gesellschaftlicher Phänomene ermöglichen. Sie veranschaulichen die Vielfalt und Flexibilität der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung, die genauso beweglich und wandelbar ist wie die Gesellschaften selbst.