Dr.'in Sara Minelli | Assoziierte Doktorandin

Kritisches Denken im Plural. Begriffliche Wege der Sozialforschung
Centre Marc Bloch, Friedrichstraße 191, D-10117 Berlin
E-Mail: saraminelli55  ( at )  gmail.com Tel: +49(0) 30 / 20 93 70700

Mutterinstitut : EHESS | Position : Forscherin | Fachbereich : Philosophie , Politikwissenschaft |

Biographie

2022: Promotion "Politiques du mythe au 20ème siècle, entre fascisme et critique / Politiken des Mythos im 20. Jahrhundert, zwischen Faschismus und Kritik" (EHESS) 

Forschungsschwerpunkte: Philosophie des Mythos, Kritische Theorie, Faschismustheorien

Seit Januar 2017 am Centre Marc Bloch angegliedert. Seit Juni 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, am Arbeitsbereich für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur

Lebenslauf als Datei
Titel der Dissertation

Die Politik des Mythos am Anfang des 20. Jahrhunderts, zwischen Faschismus und Kritik

Zusammenfassung der Dissertation

Die Dissertation befasst sich mit der Politisierung des Mythos im frühen zwanzigsten Jahrhundert. Der Begriff des Mythos taucht um die Jahrhundertwende massiv in der politischen Sprache auf und wird dann von den faschistischen Regimen in Italien und Deutschland aufgegriffen: Es geht um den Mythos der Nation, der "Rasse" oder des "Dritten Reichs". Die Politisierung des Mythosbegriffs fällt mit dem zusammen, was als Mythisierung der Politik im Faschismus bezeichnet werden könnte, d.h. die Einrichtung von Massenversammlungen in Form von Liturgien, die Verwendung von Symbolen und Riten und die Heroisierung des Führers. Die Einsetzung des Mythos als Mittel zur Begeisterung der Massen, die 1906 von Georges Sorel theoretisiert wurde, scheint somit das wesentliche Element einer neuen Form der Politik zu sein. Der Mythos, der bisher den "Anderen", den so genannten "Primitiven", zugeschrieben wurde und das Gegenteil der Vernunft darstellte, drückt nun die imaginäre und affektive Dimension des kollektiven Handelns aus. Zugleich steht er im Zentrum der faschistischen Ideologie. 

Ziel der Dissertation ist es, diese Ambivalenz aufzuzeigen, indem die Geschichte des Begriffs Mythos nachgezeichnet wird, und zwar von seiner Entstehung bis hin zu seiner philosophischen Kritik (von Ernst Bloch über Max Horkheimer und Theodor W. Adorno bis hin zu Ernst Cassirer). Ausgehend von dem, was Furio Jesi die "mythologische Maschine" nennt, zeige ich, wie der Mythos dazu neigt, als eine Kraft hypostasiert zu werden, die auf die "Massen" einwirkt. Die Kritik des Mythos ist daher notwendig, um seine Rolle in der Zeitgeschichte zu verstehen, ohne gleichzeitig seiner Faszination zu erliegen.

Institution der Dissertation
EHESS
Betreuer
Pierre Bouretz/Paula Diehl
Organisation von Veranstaltungen

10-12. 11. 2022 | « Die Zeit des Populismus », mit Brigitte Bargetz, Paula Diehl, Nina Elena Eggers, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (DVPW, in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Institut Français Kiel)

08-09. 04. 2022 | « Penser à partir de ruines : dialectique et politique dans l’idéalisme allemand et la théorie critique », mit Yasmin Afshar, Nicolas Lema, Ernesto Ruiz-Eldredge, Paris 1 Sorbonne, Paris (in Kooperation mit dem Centre Marc Bloch der Universität Poitiers)

09-11. 06. 2021 | « Masse und Individuum in der kapitalistischen Moderne / Masse et individu dans la modernité capitaliste / Mass and Individual in Capitalist Modernity », mit Yasmin Afshar, Nicolas Lema, Ernesto Ruiz-Eldredge, Centre Marc Bloch, Berlin (in Kooperation mit der Universität CAU Kiel und der Universität Poitiers)

Konformismus, Mythen, Utopien: Die Massen in der Zwischenkriegszeit

Das Projekt befasst sich mit der Debatte, die den Einbruch der Massen in die politische Geschichte im 20. Jahrhundert sowie die Entstehung von sogenannten "Massengesellschaften" begleitet hat. Insbesondere die Erfahrung des Faschismus als Form der paradoxen "Massendemokratie" (Mosse) - mit ihrer plebiszitären Politik des Appells an das "Volk", der Inszenierung der Führer-Masse-Beziehung sowie der Neuorganisation der Zivilgesellschaft mit dem Ziel der Vereinheitlichung der Erfahrung der Individuen - hat eine intensive Reflexion über die Masse als politisches Subjekt befeuert.

Insbesondere wird die Massenpolitik des italienischen Faschismus untersucht: ihre "populistischen" Merkmale, die Verwendung des "Mythos", die soziale und wirtschaftliche Organisation des Projekts des "neuen Staates". Ausgangspunkt dafür bildet ihre Kritik in Antonio Gramscis Gefängnisheften. Wenn der Faschismus eine autoritäre Antwort auf die Hegemoniekrise der liberalen Bourgeoisie ist, welche Massenpolitik ist dann im Gegenteil für die Revolution notwendig? Welche Rolle spielen in dieser Dynamik der sogenannte "Konformismus" der Massen, aber auch die Mythen und Utopien, die ihn prägen?

Publikationen

Die Ambivalenz des ‚Mythos‘ als politischer Begriff am Beispiel des Faschismus, in: T. Adler- Bartels, S. Altenburger, V. Frick, T. Schottdorf et T. Stein (hrsg.), Politische Grundbegriffe im 21. Jahrhundert, Baden-Baden: Nomos, 2023.

(mit Brigitte Bartez, Nina Elena Eggers) Das Spiel mit der Zeit: autoritär-populistische Politiken der Vergegenwärtigung, in: theorieblog, Blogpost-Reihe Zeit, 2023, https://www.theorieblog.de/index.php/2023/12/das-spiel-mit-der-zeit-autoritaer-populistische-politiken-der-vergegenwaertigung/. 

(mit Kaveh Ghoreishi) Divine violence: Kurdish struggles and general strike, in: Critique of Violence’ 100 years later—On the actuality of Walter Benjamin’s violence essay, Contexto International: journal of global connections, 2023.

Mito, utopia e propaganda : Linguaggio di verità o tecniche di manipolazione?, in Thomas Project. A border journal for utopian thoughts , n.3, “Utopia as a form of life”, 2020. http://www.thomasproject.net/current-issue/

Qu’est-ce qu’un mythe en politique ? Quelques remarques sur l’histoire d’une relation ambiguë, in Trajectoires, 13/2020. http://journals.openedition.org/trajectoires/5156

Freud, Adorno: estudios sobre la estructura pulsional del individuo en la masa (übersetzt von E. Ruiz- Eldredge Molina), in R. Prado, J. A. Paz, E. Ruiz-Eldredge (hrsg.), Iconoclasia. Investigaciones sobre y desde Marx, Lima, 2018.

Übersetzungen 

Furio Jesi, Mythe, La Tempête, 2024 (aus dem Italienischen, mit Benjamin Torterat).

T.W. Adorno, "Sur la Tradition", in: C. David, F. Perrier (hg.), Où en sommes-nous avec la théorie esthétique d’Adorno ?, Pontcerq, Rennes, 2018. (aus dem Deutschem, mit dem Übersetzungskollektiv des Centre Marc Bloch).

Hans Blumenberg, Prefigurazione. Quando il mito fa la storia, Morcelliana, 2018 (aus dem Deutschen).